Porträtfotos:
Jasmin Zarali: Sabrina Friio
Antje Riedl: Thomas Dickhardt-Wagner
Türkan Dagli: Armin Klica
Antje Riedl
acr+ architekten
Bad Homburg
#HERZENSPROJEKT
Oberhof Bad Homburg
“Das inklusive Mehrgenerationenprojekt Oberhof in Bad Homburg/Ober-Erlenbach ist ein Herzensprojekt.
Mit der Revitalisierung von Leerstand lebendige Lebensräume zu schaffen, ist eine faszinierende Herausforderung gewesen.
29 Wohnungen, Stadtteilbibliothek, Jugendzentrum, Hofladen, Ateliers, Restaurant, Diakonie mit Tagesstätte, Arztpraxis, Musikschule, Frisör, Stadtteil- und Familienzentrum, Gemeinschaftsgarten und Spielplatz sind auf der leerstehenden, ehemals Hessischen Staatsdomäne entstanden.”
Türkan Dagli
dagli and atelier d’architecture
Luxemburg
#HERZENSPROJEKT
Route d’Esch
„Das Projekt liegt an der Route d’Esch, einer der Hauptverkehrsstraßen der Stadt, die den südlichen Teil mit dem Zentrum verbindet.
Das Objekt besteht aus 35 Wohneinheiten und 4 Restaurants im Erdgeschoss. Gleich zu Beginn des Entwurfskonzepts waren wir uns des drängenden Problems bewusst, dass die Stadt durch die Zunahme großer Neubauten ihre unverwechselbare Größe und ihren Charakter verlieren würde. Die urbane Identität der Stadt geht verloren, da kleine, historisch bedeutsame Gebäude in größere umgewandelt werden.
Als Architektin hat mich dieses Projekt fasziniert, weil es eine Gelegenheit bot, diese Herausforderung anzugehen und sich auf die Bewahrung des Maßstabs und der Geschichte der Gebäude im Bezirk zu konzentrieren. Unser Designansatz zielte darauf ab, ein empfindliches Gleichgewicht zwischen der Bewahrung des einzigartigen städtischen Charakters und der Anpassung an das Wachstum der Stadt zu schaffen, wobei der Schwerpunkt auf der Schaffung einer durchdachten Fassade lag, die als Herzstück des Projekts dient.“
Jasmin Zarali
Backes Zarali Architekten
Basel
#HERZENSPROJEKT
Hotelerweiterung Kloster Eberbach
“Das Kloster Eberbach hatte schon seit meiner Kindheit eine grosse Faszination für mich, daran hatte der Film “Der Name der Rose” sicherlich einen Anteil.
Für meine Partner und mich war sofort klar, dass der Wettbewerb für eine Hotelerweiterung eine einmalige Chance darstellt, diese historische Anlage weiterentwickeln zu dürfen.
Die Wettbewerbsaufgabe bestand darin die bestehende Hotelanlage innerhalb des Klosterperimeters zu erweitern.
Dabei war es uns ein wichtiges Anliegen den Ausdruck der Anlage adäquat weiterzuführen und gleichzeitig einen selbstbewussten Neubau zu erschaffen.”
Gute Architektur und Stadtentwicklung im Blick
3 Fragen, 3 Architekten – Das ist ein neues Format von „the good place“, bei dem wir unterschiedliche Blickwinkel auf Architektur – „gute Architektur“ – und Aspekte aus den Bereichen Städtebau und Stadtentwicklung zusammenbringen und diskutieren möchten.
Für die erste Ausgabe müsste es eigentlich korrekterweise heißen “3 Fragen, 3 ArchitektINNEN”. Mit Antje Riedl, Türkan Dagli und Jasmin Zarali haben sich für das Interview 3 Architektinnen gefunden, die in 3 unterschiedlichen Ländern ansässig sind und Erfahrungen und Eindrücke aus noch weitaus mehr Ländern mitbringen.
“3 Fragen, 3 Architekten – Episode #1” als Podcast anhören
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Weitere InformationenIntro & Outro: Music by SergePavkinMusic from Pixabay
Vorstellung der 3 Architektinnen
Architektur und Revitalisierung in der Region Frankfurt-RheinMain
Antje Riedl:
Mein Name ist Antje Riedl. Ich bin Architektin in Bad Homburg im RheinMain-Gebiet, etwas nördlich von Frankfurt. Wir sind seit 26 Jahren mit unserem Büro hauptsächlich im Bauen im Bestand tätig.
In den letzten Jahren haben wir uns überwiegend mit der Revitalisierung von landwirtschaftlichen Leerstands-Gebäuden beschäftigt und revitalisieren diese Anlagen zu Mehrgenerationen-Projekten, schaffen Lebensräume für die Menschen verschiedener Generationen und integrieren gerne auch soziale und kulturelle Einrichtungen in den Projekten.
Eine deutsch-türkische Luxemburgerin und die Suche nach dem Grün in der Stadt
Türkan Dagli:
Ich heiße Türkan Dagli und ich habe mein Architekturbüro seit 2005 in Luxemburg. Wir haben hier gerade ein neues Bürogebäude gebaut. Ich komme aus Deutschland, habe dort studiert und bin auch dort geboren. Meine Eltern sind türkischer Herkunft. Ich bezeichne mich als eine „deutsch-türkische Luxemburgerin“. Wir machen viel Wohnungsbau und auch ein bisschen im Bereich Bürogebäude.
Aber im Moment haben wir uns sehr fokussiert auf das Thema Grün und die Frage „Wie kriegen wir es hin, dass die aktuellen Probleme angegangen werden?“. Vielleicht mehr dazu nachher…
Bauen im Bestand im Architekturbüro in Basel mit Wurzeln nahe Wiesbaden
Jasmin Zarali:
Mein Name ist Jasmin Zarali. Ich bin auch in Deutschland aufgewachsen, im schönen Hessen, in der Nähe von Wiesbaden. Mein Papa ist aus der Türkei und auch ich bin eine Deutsch-Türkin und habe eine Zeit lang in Istanbul gelebt und studiert, auf Grund meiner türkischen Wurzeln.
Über das Studium und Schweizer Professoren bin ich dann schlussendlich in Basel gelandet. Nach einem weiteren Studium in Zürich und Tätigkeiten in Büros habe ich mich zusammen mit Freunden selbstständig gemacht, allerdings erst Ende 2019. Wir sind also noch relativ jung in der Selbstständigkeit und interessieren uns u.a. auch für Bauen im Bestand.
Da bin ich stark geprägt durch die Büros, in denen ich vorher war, wo viel Sanierungsprojekte gemacht wurden, in denen es darum ging die Qualitäten zu erkennen und freizulegen.
Super, das passt dann mit dem Internationalen sehr gut, denn mit dem Kurzinterview soll es den „Blick über den Tellerrand“ geben: was machen andere Regionen, andere Länder gut? Was kann man hier in Deutschland davon lernen oder eben auch in Luxemburg oder in der Schweiz. Zum Einstieg erst mal ganz allgemein die Frage:
Was ist aus Ihrer Sicht „gute Architektur“?
Gerne auch kurz beschreiben, warum Sie es so sehen.
Antje Riedl:
Gute Architektur – Ich möchte es mal unterscheiden in zwei große Hauptgruppen. Das sind einmal die Imagebauten und die Alltagsarchitektur. Und bei den Imagebauten, finde ich, kann man gute Architektur häufig auch nur am persönlichen Geschmack ausmachen. Ich denke, das ist so wie mit Kunstwerken.
Selbst die berühmtesten Kunstwerke muss man nicht immer schön finden, aber sie haben alle ihre Berechtigung und ihren Wert.
Und bei den Imagebauten würde ich daher gar nicht so sehr auf gute oder schlechte Architektur eingehen, sondern würde mich eigentlich eher gerne mit Blick auf Alltagsbauten dazu äußern.
Gute Architektur – das betrifft die Gebietsstrukturen: wie baut man in ein Gebiet hinein? Was bietet man für Flächen an? Sind es Wohnräume, soziale Einrichtungen? Auch in dem Bereich finde ich einfach eine Flexibilität unglaublich wichtig. Da wir uns ja auch sehr viel mit dem Wohnungsbau beschäftigen, finde ich, dass es dann gute Architektur ist, wenn ein Gebäude auch vieles mitmachen kann und vieles aushalten kann. Wir haben das ja alle in der Corona-Zeit erlebt, dass vielen Menschen zu Hause bei dem Thema Homeoffice, mit Homeschooling das eigene Wohnumfeld nicht die Möglichkeiten geboten hat, damit klarzukommen.
Gute Architektur sollte diese Flexibilität ermöglichen. Das wäre für mich eines der großen Kriterien: flexibler Umgang mit den Flächen. Auch Nachnutzungen, Umnutzungen, Neunutzungen zu ermöglichen.
Türkan Dagli:
Während der ganzen Jahre seit dem Studium stelle ich immer wieder Thesen zusammen – das entwickelt sich aus der Problematik, die sich in den Büros ergibt, aus Problemen mit Kunden, mit Projekten etc.. Und so haben sich Thesen gebildet, die meistens auch sehr philosophisch hinterlegt sind.
In dem Fall „guter Architektur“ beziehe ich mich komplett auf Jürgen Habermas.
Wir bauen immer in einen Kontext rein – wenn wir auf der grünen Fläche bauen, bauen wir auch in einen grünen Kontext rein. Meistens baut man ja in der Stadt oder auf dem Dorf, da gilt es zum Beispiel die Nachbarn zu berücksichtigen. Ich denke, eine gelungene Architektur ist immer, wenn man Kommunikation zwischen dem Neubau und der Umgebung schaffen kann. Es muss aber eine gelungene Anpassung sein. Das heißt, ich will jetzt nicht, dass ich mich absolut anpasse, sodass ich gar nicht mehr gesehen werde als neue Architektur. Ich will mich so anpassen, dass ich genauso viel gesehen werde wie die alte Architektur, die schon vorhanden ist. Denn ich sehe nämlich wirklich nicht ein, wieso die Architekten, die vor 300 Jahren gebaut haben, mehr im Vordergrund sein müssen als die Architekten, die heute bauen.
Ich denke, es muss eine Kommunikation zwischen der alten und der neuen Architektur vorhanden sein. Was ich auch ganz wichtig finde ist, dass die alte, bestehende Architektur sehr ernst genommen wird und nicht, dass wir da ganz komische, modische, unerklärbare Fassaden in der Stadt herstellen, nur um gesehen zu werden.
Eine absolute Anpassung würde für mich heißen: Unsichtbarkeit. Das will ich nicht. Aber eine Kommunikation mit der alten Architektur, mit der Umgebung und dem Kontext herstellen – das ist für mich gute Architektur.
Jasmin Zarali:
Es ist schon vieles gesagt worden, dem ich mich anschließen kann. Architektur prägt unser Umfeld, unser Stadtbild, und daher sollte gute Architektur mit dem Kontext arbeiten, sei es durch städtebauliche Setzungen, wodurch ich auch Stadträume generiere, sei es durch die Kubatur, durch die Volumetrie oder durch den Ausdruck und die Materialität.
Und auch soziale und nachhaltige Aspekte sollten dabei sicherlich tragende Elemente sein.
Ich denke, Architektur, das hat Frau Dagli gesagt, sollte nicht „modisch“ sein. Man darf sich nicht Trends unterwerfen, denn wir bauen ja nicht für ein paar Jahre, sondern wir bauen für Jahrzehnte.
Das muss sich natürlich entsprechend dann in dem qualitativen Ausdruck eines Gebäudes niederschlagen. Und ich glaube, dass gute Architektur nicht nur qualitative Räume auf städtebaulicher Ebene schafft, sondern natürlich auch innenräumliche Qualitäten generieren muss, die dann Synergien mit der entsprechenden Nutzung eingehen.
Frau Riedl hatte eben schon das Thema Homeoffice angesprochen. Unsere Städte sind insbesondere in den letzten zwei, drei Jahren mit der Pandemie extrem im Wandel.
Das komplette Stadtbild verändert sich natürlich auch, wenn Dinge wie Gastronomie schließen müssen oder wegfallen. Aber auch allgemein abhängig davon, wie die Architektur einer Stadt ist, entscheidet darüber, ob sich die Leute überhaupt an einem Platz, in einem Quartier oder in der Stadt aufhalten wollen.
Wie schafft man es, eine Stadt lebenswert zu machen und wie schafft man in einer Stadt „Feel Good Places“, die vielleicht auch unabhängig vom Konsum funktionieren?
Antje Riedl:
Stadtquartiere sollten in erster Linie eine Lebendigkeit haben.
Wir haben ja schon viele dieser Phasen durchlebt in der Architekturgeschichte. Reine Wohnstädte funktionieren eben nicht so gut. Morgens verlassen alle das Quartier, abends kommen alle wieder nach Hause. Tagsüber verbleiben nur ein paar, die eben nicht arbeiten gehen oder die jetzt neuerdings im Homeoffice sitzen dürfen.
Aber es ist so, dass eine Stadt erst durch ihre Lebendigkeit und durch ihre Vielfalt eine Qualität bekommt und dass das Leben in einem Quartier auch erst dann Freude macht, wenn man viele verschiedene Bedürfnisse befriedigen kann.
Sei es also das Wohnen, nicht nur alleine, sondern eben auch das Einkaufen gehen, Freizeit zu verbringen, Zeit in der Grünfläche zu verbringen, die Kinder vor dem Haus spielen lassen zu können. Das ist das, was das Leben lebenswert macht, wenn man nicht für alles irgendwo hinfahren muss, auch nicht zum Einkaufen. Klar, jeder macht irgendwann seine Großeinkäufe, irgendwo in einem größeren Markt. Aber das Alltägliche, das, was man so wirklich tagtäglich braucht – wenn man das fußläufig und mit dem Fahrrad erreichen kann, dann sind das Qualitäten, die unbezahlbar sind.
Randbezirke dienen oft nur dem Wohnen, es fehlt die Lebensqualität
Diese gute Mischung aus Wohnen, Gewerbe, sozialen und kulturellen Einrichtungen, dafür gibt es ja so viele funktionierende Beispiele in Quartieren, in denen die Menschen auch wahnsinnig gerne wohnen. Betrachten wir jetzt mal Frankfurt, das ist meine Heimatstadt. Da gibt es die Quartiere im Nordend, im Westend, in Bockenheim, in Sachsenhausen. Das sind die Quartiere, die die hochpreisigsten Quartiere sind, weil die Menschen dort einfach am liebsten wohnen.
Die Randbezirke, sie dienen dem Wohnen. Sie haben auch den einen oder anderen Supermarkt. Aber es ist eben nicht diese Lebensqualität zu spüren.
Türkan Dagli:
Ich glaube, ich gebe da mal eine generelle Antwort dazu.
Wir hatten 2020 ein Buch herausgebracht: „Lost Forrest – the corrections in the city“. Wir hatten damals vorgeschlagen, dass wir in der Stadt Luxemburg fünf neue Wälder herstellen, und die eben wirklich mittendrin.
Die können dann eine bestimmte Größe haben, also könnte es ein „Mini Wald“ – „Tiny Forest“ – sein bis hin zum größeren Forst. Ich glaube, dass wir dringend Lösungen brauchen, die etwas aggressiver sind, wo wir sagen: „Okay, jetzt kommt hier ein Stück Wald hin!“. Und dann müssen wir gucken, wie wir alles drum herum gelöst bekommen. Sodass die Leute, die in der Stadt leben, auch immer einen direkten, fußläufig Zugang zum Wald haben.
Bäume und Wälder zurück in die Städte holen
Das sehe ich als ein Riesenthema, dass wir das wieder zurückholen in die Städte. Natürlich nicht alles, aber zumindest ein Stück weit, denn da, wo heute die Städte stehen, waren ja zu weiten Teilen alles nur Felder bzw. Wälder.
Wir schreiben gerade auch wieder zu dem gleichen Kontext ein Buch, wo wir Korrekturen in der Landwirtschaft herstellen. Ich denke, ohne Bäume haben wir keine Zukunft, wir brauchen Bäume in der Stadt und das gilt es zu maximieren, so schnell es geht.
Jasmin Zarali:
Wenn man auf „Was macht eine Stadt lebenswert?“ eingeht, dann sind das sicherlich viele verschiedene Aspekte, die dazu führen. Das fängt damit an, dass eine Stadt ihre geografischen oder landschaftlichen Qualitäten erkennt und diese auch nutzt.
Oder dass Stadträume entstehen, die Anreize schaffen für die Menschen, die dort leben und sich diese Räume aneignen und auch weiterentwickeln, damit eine Stadt auch lebendig wird, so dass Kontraste entstehen oder geschaffen werden. Des Weiteren empfinde ich neben landschaftlichen, geografischen Komponenten auch sicherlich Politik, Kultur, soziale Aspekte als wichtige Punkte, die eine Stadt lebenswert machen können – oder eben auch nicht.
Über dieses Wort „Feel Good Places“ habe ich einen Moment nachgedacht. Persönlich ist für mich ein Feel Good Place immer in der Natur, er hat immer einen Bezug zur Natur. In der Schweiz bietet sich das mit den Bergen total an. Wenn ich das aber jetzt auf die städtebauliche Ebene zurückbringe, dann ist das auch unter Einbezug der Natur zu denken.
Landschaftliche Elemente sorgen für Wohlfühl-Atmosphäre
Ein Mensch fühlt sich immer dann wohl sobald landschaftliche Elemente in den Stadtraum reinkommen – sei es in Form von Bäumen oder Wasser. Ich denke aber auch, dass das viel mit Proportionen zu tun hat. Etwas, was für den menschlichen Maßstab greifbar ist, was auch ein bisschen Intimität erzeugen kann, wo ich mich in „Filterschichten“ aufhalten kann, zwischen Öffentlichkeit und Privatem. Diese halböffentlichen Räume, wo ich eine gewisse Intimität spüre sind Orte, die sehr viel Potenzial bieten für Leute, sich wohlzufühlen.
Luxemburg, Basel, Frankfurt, Bad Homburg. Da haben wir in der Runde sehr unterschiedliche Städte, Regionen, beziehungsweise Länder.
Von welcher Stadt oder welcher Region kann man denn Ihrer Meinung nach etwas dazulernen, was Stadtplanung, Stadtentwicklung angeht und warum?
Es muss bei Ihrer Antwort nicht die eigene Stadt sein.
Antje Riedl:
Ich glaube, wir können von vielen Städten und Regionen dazulernen. Wir sollten immer offen sein für Entwicklungen, die sich an anderen Orten zeigen und die sich dort auch bewähren und dann schauen: „Wie können wir das jeweils auf unsere Regionen, auf die Regionen, in denen wir tätig sind, für die wir Konzepte erstellen, übertragen? Was können wir für positive Aspekte mitnehmen?“
Wenn ich jetzt an bestimmte Regionen denke, was Platzqualitäten angeht, fallen mir unheimlich viele südliche Städte ein.
Das kann in Italien, Spanien oder Frankreich sein. Man hat dort eine andere Platzqualität. Ich weiß nicht, ob die Städtebauer dort im Studium etwas anderes lernen oder es sind vielleicht auch einfach die alten Plätze, die dort entstanden sind.
Plätze sind oft groß, aber nichtssagend und ohne Aufenthaltsqualität
Ich war im Studium mal in Rom mit einer Freundin, wir sind durch die Stadt gelaufen und hatten bei jedem Blick um die nächste Ecke immer wieder einen „Oh mein Gott, mein Gott“ Moment, man weiß gar nicht, wo man hinschauen soll. Es waren einfach alles so wunderbare Orte und jeder Platz, jeder Hinterhof hat ja eine spezielle Qualität und immer so etwas Besonderes. Das fehlt mir tatsächlich oft in deutschen Städten. Auch in vielen anderen Ländern fällt es mir auf, dass einfach Plätze nichtssagend sind, dass Plätze groß sind, aber keine Aufenthaltsqualität bieten.
Manchmal sind es Kleinigkeiten wie ansprechend gestaltete Häuserfassaden mit Fensterläden und Blumendekoration, die uns an Plätzen gerne verweilen lassen (Bild von Ildigo auf Pixabay)
Dann haben natürlich auch Städte, die Wasser in der Stadt haben, einen Fluss oder mehrere Flüsse, diese tolle Qualität, die einfach auch andere Dinge ermöglichen. Am Wasser sitzen, Zonen schaffen, wo man sich am Wasser aufhalten kann. Dazu fällt mir zum Beispiel in Deutschland die Stadt Freiburg ein. Das ist für mich so eine Stadt, wo ich unheimlich gerne bin. Da läuft man durch und hat das Gefühl, immer wieder schöne Ecken, schöne Bereiche zu entdecken, wo man sich einfach, wenn man Lust hat, hinsetzen und verweilen kann und mit Leuten reden. Das sind für mich einfach gute Beispiele. Aber wie gesagt, es gibt nicht „die eine“ Region oder „die eine Stadt“, die mir besonders auffällt, sondern es sind viele. Diese vielen schönen Anregungen, Inspirationen – dabei gilt es, einfach zu schauen, was kann man davon übernehmen und übertragen in die eigene Region.
Südliche Länder als Vorbilder für gelungene Stadtplanung?
Türkan Dagli:
Ich habe auch genauso darüber nachgedacht. Wo, in welchen Städten fühle ich mich eigentlich wirklich, wirklich gut? Wenn man die Augen zumacht, dann fallen einem nur die südlichen Städte ein, Alt-Rom, Palma, da halte ich mich auch sehr gerne auf in der Innenstadt.
Ich glaube, das kommt davon, weil diese Städte mit der Hitze immer schon umgehen mussten. Das heißt, für die Anwohner mussten sie schon immer Bereiche schaffen.
Was machen wir, wenn es eine enorme Hitze gibt? Wo werden wir uns aufhalten, wenn es enorme Hitze gibt? Und das haben wir in den ganzen nordischen Ländern noch nicht gehabt. Es entwickelt sich gerade dazu, dass wir das auch brauchen. Und jetzt müssen wir auf einmal schlagartig alle darauf reagieren.
Großer Basar in Istanbul (Bild von POLAT DÖVER auf Pixabay)
Stadtzentren als Marktplätze wie in südlichen Ländern
In der Stadt Luxemburg hat es schon Vorteile dadurch, dass es eine Schlucht zwischen der Oberstadt und der Altstadt gibt, eine komplette grüne Schlucht quasi, sehr zentral mitten in der Stadt.
Oben auf der Stadt-Ebene kann ich mir das schon gut vorstellen, dass diese ganzen Marktplätze einfach viel zu groß wirken und deswegen keiner sich dort aufhalten will.
Ich denke, da müssen Veränderungen her. Und ich denke, man müsste wie in diesen südlichen Ländern wie der Türkei auch geschlossene Marktplätze, überdachte Marktplätze schaffen, wo die Menschen sich unten drunter aufhalten können und oben drüber wieder einen neuen Park erstellen, auf dem Dach. Aber alles sehr, sehr offen halten. Ich glaube, die Zentren der Städte könnten neue Marktplätze wie in den südlichen Ländern werden.
Jasmin Zarali:
Ich denke auch, es gibt eigentlich nicht die perfekte Stadt, die beides als Prototyp ausweist in Bezug auf Städtebau und Architektur. Es gibt, wie auch meine Vorrednerinnen schon gesagt haben, viele Beispiele in Italien, vornehmlich Städte aus der Renaissance-Zeit.
Es gibt aber auch mittelalterliche Städte, zum Beispiel in Deutschland, die ich sehr schön finde. Aber ich möchte dennoch als Beispiel die Stadt ausführen, die ich sehr gut kenne und die ich auch als Bewohnerin beurteilen kann und das ist Basel.
Die Stadt hat eine sehr dankbare Substanz. Sie hat eine geografische sehr gute Lage in einem Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich, Schweiz, was eine gewisse Durchmischung gewährleistet. Die Stadt schafft es das Potential mit der Lage am Rhein zu nutzen, indem sie mit dem Wasser und auch am Wasser lebt.
Leben mit dem und am Wasser in der Stadt
Das spürt man natürlich, sobald der erste Sonnenstrahl da ist, dann ist die halbe Stadtbevölkerung am Wasser. Was ich auch sehr schön empfinde: mein morgendlicher Weg führt über die Brücke von Grossbasel nach Kleinbasel, da geht mir immer so das Herz auf, wenn ich diese Freiheit, dieses Wasser spüre.
Das hat für mich schon sehr viel Qualität.
Basel ist eine vom Krieg sehr unversehrte Stadt. Wir haben einen historischen Stadtkern, der sehr gepflegt wird, wo auch die Denkmalpflege stark eingebunden ist. Die Stadt ist auch in Bezug auf ihre Infrastruktur gut ausgebaut. Es gibt eine sehr gute Anbindung in der Stadt, aber auch über die Grenzen hinaus nach Deutschland und Frankreich. Es wird sehr viel Wert gelegt auf den individuellen, nicht motorisierten Verkehr, aber auch auf öffentliche Verkehrsmittel.
Hier findet man viele gut funktionierende Plätze, die von der Proportion sehr gelungen sind. Die Plätze sind nicht komplett bespielt. Ich finde es wichtig, dass ein Platz nicht zu sehr gestaltet wird oder zu sehr bespielt wird, denn nur so können auch verschiedene Nutzungen entstehen, die temporär sind und zur Lebendigkeit beitragen können. Die unter anderem durch die Lage bedingte gute Durchmischung äussert sich kulturell, sozial, aber auch auf den Alltags-Ebenen und macht Basel vielfältig.
Blick auf den Rhein in Basel (Bild von Albrecht Fietz auf Pixabay)
Gute Architektur wird in der Schweiz wertgeschätzt
Es gibt, nicht nur in Basel, sondern allgemein in der Schweiz eine andere Wertschätzung für gute Architektur oder für Qualität. Dazu gibt es hier ein gut funktionierendes Wettbewerbssystem, was auch gewisse Leitplanken vorgibt. Und das schätze ich auch sehr. Ich kann das nicht zu 100 Prozent aus der deutschen Perspektive beurteilen, weil ich einfach nur in der Schweiz gearbeitet habe. Aber das, was ich mitbekomme, durch Dialoge mit Kollegen, ist das in der Schweiz eine andere Wertschätzung.
Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass Grundstücke in einem Stadtzentrum, die im Besitz einer Stadt sind, nicht immer gleich an Investoren veräußert werden und zugebaut werden.
Die Städte sollten Mut dazu haben, die Grundstücke auch mal brach liegen zu lassen und Zwischennutzungen zu zulassen, so dass Subkulturen entstehen können und gefördert werden. Auch solche Maßnahmen schaffen eine Vielfältigkeit, die man unbedingt zulassen sollte, bevor alles irgendwie gentrifiziert wird, was immer mehr auf dem Vormarsch ist. Nicht nur in Basel, sondern auch in vielen anderen Städten. Es ist sehr wichtig für eine Stadt, dass man sich diese Chancen bewahrt.
Lebensqualität schaffen in kleinen und großen Städten
Sehr spannend. Also tatsächlich vieles, wo man das Gefühl hat, da sind wir alle ein Stück weit einer Meinung. Ich persönlich finde, eine Stadt braucht zum Beispiel einen Fluss.
Zum einen wegen der Aufenthaltsqualität und wie Sie gesagt haben – sobald das Wetter schön wird, kommen die Leute raus. Da ist es eigentlich egal, ob es jetzt eine kleine oder große Stadt ist. Wir haben zum Beispiel im Raum Wetzlar, Gießen Städte mit knapp über 50.000 Einwohnern, wo man das direkt merkt. Hier in Eltville, knapp über 17.000 Einwohner und am Rhein ist immer das meiste los, das ist tatsächlich so.
Kreative Platzgestaltung kann auch die Einbindung von Kunst beinhalten, wie hier in Antwerpen (Foto: thegoodplace)
Plätze in der Stadt nicht permanent bespielen
Wir hatten das Thema mit Plätzen. Da musste ich tatsächlich auch als erstes an die Piazza aus Italien denken, die einfach funktioniert, auch ohne dass man ein Angebot hat.
Frau Zarali hat es schön gesagt, dass „nicht permanent bespielt ist“. Man hat vielleicht an einem oder zwei oder drei Wochentagen den Markt, dann ist mal etwas mehr los. Aber auch so treffen sich Leute. Das ist auch etwas, was ich tatsächlich öfter in Deutschland als Kritikpunkt höre. Leute sagen, man ist draußen, man sieht überall Menschen, aber man fühlt sich ein Stück weit vielleicht sogar einsam.
Und in den südlicheren Ländern kommt man vielleicht viel leichter ins Gespräch mit anderen Kontakten. Es ergibt sich einfach dadurch, dass man mehrmals in der Woche an demselben Platz dieselben Leute immer wieder sieht. Vielleicht liegt es aber auch an der Mentalität der Leute. Aber das ist etwas, wo man sich städtebaulich einiges von abschauen könnte.
Dann hatten wir das Thema mit dem Stadtwald von Ihnen, Frau Dagli. Sehr spannend. Wenn sonst über Begrünung von Fassaden gesprochen wird, gerade in Frankfurt, ist zwar vielleicht auch „Grün in der Stadt“, aber man merkt es ja selber bei sich – wenn man durch den Wald läuft, das macht irgendwas mit einem. Ich bin früher viel Mountainbike gefahren durch den Wald . Man hat dort diese „Abschottung“, alleine durch die Bäume.
Man ist komplett vom Kopf her einmal raus aus dem Lauten, aus dem Hektischen, das ist wie ein „Reset“, zum Beispiel in der Mittagspause, das kann natürlich perfekt sein.
Also von daher: Vielen Dank an Sie alle für den spannenden Austausch!
Dieses Interview wurde geführt von Oliver Weber-Lapp