Das Thema „Ostfeld“ spaltet die Meinungen der Wiesbadener und sorgt für hitzige Diskussionen. Kaum verwunderlich, da die Errichtung des neuen Stadtteiles unter anderem bedeuten würde, dass aktuell landwirtschaftlich genutzte Flächen wegfallen müssen.
Wir wollen das Thema neutral betrachten und „Für und Wider“ präsentieren.
Im ersten Teil dazu spricht sich der Wiesbadener Unternehmer Andreas Steinbauer etwa für einen Stopp der Planungen aus.

Andreas Steinbauer
Andreas Steinbauer ist Unternehmer in Wiesbaden („Steinbauer Immobilien“, „Steinbauer Travel“) und Sektionsvorsitzender des Wirtschaftsrates Deutschland e.V..
Von Seite der Steinbauer Immobilien GmbH aus hat er städtebauliche Entwicklungen im Blick, so auch die Möglichkeiten zur Bebauung des Wiesbadener Ostfeldes, worüber wir gesprochen haben.
Das Ostfeld soll Wohn- und Lebensraum für 8.000 – 12.000 neue Einwohner in der Landeshauptstadt Wiesbaden schaffen. Nicht jeder ist erfreut über die Tatsache, dass dafür Grünflächen am Rande der Stadt weichen müssten.
Was sind aus Ihrer Sicht Argumente gegen die „Erweiterung Ostfeld“?
Erstens ist das Ostfeld verkehrstechnisch insbesondere an den konventionellen und schienengebunden ÖPNV schlecht angebunden. Das ist schon einmal Punkt eins.
Punkt zwei ist, dass das Ostfeld nach wie vor in wesentlichen Teilbereichen von den An- und Abflugrouten der American Air Base betroffen ist. Das heißt, wir haben erhebliche Einschränkungen für eine potentielle wohnwirtschaftliche Qualität im Bereich des Ostfeldes. Gerade durch die aktuellen und absehbaren Entwicklungen wird die American Air Base sicherlich nicht weniger, sondern eher mehr zu einem Drehkreuz der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland.
Weiterhin haben wir die noch ausstehende Auseinandersetzung mit der Thematik der nicht in der kommunalen Hand befindlichen Grundstücke. Alleine diese Faktoren sind schon so erheblich, dass völliges Unverständnis herrscht, warum Millionen an Steuergeldern verbrannt werden sollen, um ein möglicherweise nie entstehendes Gebiet weiter voran zu treiben. Es gibt innerhalb des Wiesbadener Stadtgebietes genug Potenzialflächen, die noch verfügbar sind. Unter anderem die Gebiete Zweibörn / Westfeld / Dotzheim. Gerade im Innerstädtischen Bereich gibt es zig Möglichkeiten, dort weitere wohnwirtschaftliche Entwicklungen durchzuführen, die dafür sorgen, dass die Bevölkerungsaufnahme in Wiesbaden über die nächsten Jahrzehnte abgedeckt werden kann.
Einfach mal die Finger von Dingen lassen, die man nicht kann und auch nicht versteht. Und der Blick auf das statistische Bundesamt hilft ja auch dabei, die Bevölkerungsentwicklung der Landeshauptstadt Wiesbaden zu sehen.
Anmerkung der Redaktion:
Zwischen 2011 und 2016 lag das jährliche Wachstum der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden zwischen rund 1.500 und über 4.000 Einwohnern (siehe Abb. der Stadt Wiesbaden).
Auch wenn die Stadt weiter wächst – mit einem „Plus“ von knapp 50 Einwohnern von 2019 auf 2020 und 485 zusätzlichen Einwohnern in der Gesamtbevölkerung im darauf folgenden Jahr ist dieses Wachstum geringer geworden.

Quelle zur Bevölkerungsentwicklung bei Wiesbaden.de
Was für mich noch gegen das Ostfeld spricht: es gibt keine wohnwirtschaftlich attraktiven Qualitäten dort, da keine entsprechend notwendige Infrastruktur vorhanden ist.
Diese müsste komplett neu aufgebaut werden (Schule, Kindergarten, ÖPNV – das volle Paket).
Inklusive der Erschließung dieses gesamten potenziell nutzbaren, kleinen wohnwirtschaftlichen Gebietes. Was wollen sie dort hin bauen? Wollen sie das zweite Klarenthal bauen? Den zweiten Schelmengraben?* Das kann ja nur eine Trabantenstadt werden.
Hier Wohnen und Arbeiten zu verknüpfen halte ich auch anlässlich der noch existierenden Restflächen für sehr bedenklich.
* Anm. der Redaktion: Die beiden genannten Stadtteile werden gerne als „Gebiete ohne Seele“, ohne einen Ortskern mit einladendem Charakter und Aufenthaltsqualität bezeichnet

Es wurde vom Institut für Wohnen und Umwelt für Wiesbaden ein Bedarf von 32.500 Wohnungen bis zum Jahr 2040 prognostiziert. Das war bereits im Jahr 2017. Aber auch an dieser Einschätzung gab es Kritik.
Es ist einfach nur sinnlose Aktionspolitik, die hier gemacht wird, die zu keinem Ergebnis führen wird, weil einfach der Bedarf nicht da ist. Die eigenen Zahlen der Landeshauptstadt Wiesbaden belegen, dass es kein exponentielles Wachstum in den vergangenen Jahren gegeben hat. Worauf gründet sich eigentlich die Prognose des Institutes für Wohnen und Umwelt für 2040?
Von daher, ganz klare Ansage: Erst mal mit dem vorhandenen Ressourcen arbeiten, die wir haben – und davon gibt es genug. Es fehlt wie gesagt die komplette Infrastruktur.
Anstatt hier erstens landwirtschaftliche Nutzflächen zu vernichten, zweitens, gerade in der aktuellen politischen Lage und und dem zukünftig wichtigen Standort Erbenheim für die amerikanischen Streitkräften ein Planungsgebiet für wohnwirtschaftliche Nutzung zu verfolgen, ist fehlgeleiteter Aktionismus.
Wir haben mittlerweile deutlich über 30.000 Amerikaner in Wiesbaden. Diese sind auch im täglichen Stadtbild präsent und es ist davon auszugehen , dass der Standort Wiesbaden weiter ausgebaut wird.
Das heißt – jetzt den roten Knopf drücken. Push the Button. Und Stopp mit diesem Projekt!
Ein Naherholungsgebiet für die Wiesbadener statt Neubau und Wohnungen?
Man kann natürlich weiterhin gewerbliche Flächen produzieren.
Meine persönlichen Einschätzung beim Ostfeld ist, dass das einzig Sinnvolle ist, es in Teilbereichen zu einem vernünftigen Erholungsgebiet zu machen.
Meine Vision für dort ist: lasst uns doch einen See bauen für die Wiesbadener, analog dem Phönix-See in Dortmund als Naherholungsgebiet (Wikipedia Link). Warum nicht?
Wir haben die Möglichkeit hier, das muss einfach mal durchdacht werden. Warum nicht ein Naherholungsgebiet für die Wiesbadener Stadtbevölkerung in diesem Bereich schaffen? Man kann natürlich unten an der A671 eine gewerbliche Blockrandbebauung durchführen. Aber dann muss man sich sehr, sehr genau überlegen, wie die überhaupt aussehen kann, wenn sie denn kommen würde. Auch hier muss man darüber nachdenken, wie die Infrastruktur geschaffen werden kann.


Dieses Schild im Ostfeld weist auf eine mögliche Enteignung der Landwirte hin, wenn sie einen Preis von 12€ pro Quadratmeter zum Verkauf ablehnen (Bilder (24.09.2022): www.thegoodplace.digital)
Ein Blick auf das Potential im Stadtteil Mainz-Kastel
Wir haben noch erhebliche Leerstandsflächen im Bereich des Gebietes Mainz-Kastel, sprich Peter-Sander-Straße, Petersweg-Ost, Petersweg-West. Dort gibt es immer noch genug Ressourcen . Es gibt auch nach wie vor ungenutzte noch nicht abgesetzte Flächen, die dort entstanden sind. So dass man vorrangig diese Stadtteile sukzessive „befüllen“ sollte, um eine Struktur aufzubauen.
Im Grunde genommen sind das ja „Außenposten“ der Wiesbadener Stadt. Mainz-Kastel gehört ja bekanntermaßen zu Wiesbaden. Ich halte es für sinnlos, nach der Mentalität „Don’t make small plans“ weiterzugehen und zu sagen „Wir errichten jetzt weitere neue Wohngebiete und gewerbliche Nutzungsgebiete.“
Umzug des BKA ins Wiesbadener Ostfeld
Das Einzige, was ich für sinnvoll bei dem gesamten Thema Ostfeld halte, ist der Umzug des BKAs. Wenn die zahlreichen aktuell im Stadtgebiet verteilten Standorte des BKA sich mit einem Umzug auf ein Gebiet konzentrieren, werden in großen Teilen wohnwirtschaftlich wertvolle nutzbare Flächen im innerstädtischen Gebiet frei.
Das ist insbesondere im Bereich der Thaerstraße der Fall, wo die Zentrale des BKAs sitzt.
Allein dieser Bereich hat so ein gewaltiges Potential an Flächen, dass man hier mehr als bequem problemlos einige tausend Neubürger in Wiesbaden in den nächsten Jahren unterbringen kann. Und das geht schnell, wir haben da bereits bestehende Strukturen. Das heißt also, die B-Plan-Entwicklung ist dort wesentlich einfacher als das, was wir bei einer kompletten Neuentwicklung eines Stadtteils haben. Und es ist auch kostenmäßig überhaupt nicht vergleichbar mit der Neuentwicklung Ostfeld.
Sehen Sie das Thema Revitalisierung, Umnutzung von dem Bestand als die richtige, alternative Lösung gegenüber dem Thema Neubau von Stadtteilen? Im Sinne, dass man etwa Büros einer neuen und anderen Nutzung zuführt, z.B. als Wohnraum?
Schauen Sie, wir unterhalten uns ja die ganze Zeit darüber, wie neue Qualitäten von Wohnen und Gewerbe aussehen. Wir haben die Thematik, dass wir momentan energieeffizient, ökologisch wertvoll und nachhaltig bauen müssen (ESG konformes Bauen). Revitalisiert oder reißt den „architektonischen Sondermüll“ der 50er – 70er ab und baut was Gescheites. Holz-Hybrid kann eine der Lösungen sein, serielles Bauen ist mit Sicherheit auch eine Lösung, um relativ schnell, aber nachhaltig, ökologisch und energieeffizient neue Gebäudestrukturen zu entwickeln.
Klaus Beine von ADVANT Beiden aus Frankfurt hatte in einem Interview mit der FAZ (Quelle) erwähnt: Wir müssen im Prinzip einen „Deal mit der Natur“ eingehen.
Wie sehen Sie das – ist das Thema Nachhaltigkeit mit dem Wachstum einer Stadt überhaupt vereinbar?
Warum sollte das nicht vereinbar sein? Das ist in jedem Fall vereinbar, man muss es nur intelligent spielen. Und zum intelligenten Spielen gehört natürlich, dass man auch professionelle Player an einen Tisch setzt, um einfach solche Dinge gemeinsam zu bündeln und dann zu einer richtigen Entscheidungsfindung zu kommen, das ist der entscheidende Punkt.
Noch eine letzte Frage und zwar zu dem Thema „Superblocks“.
Davon ist ja in letzter Zeit häufiger die Rede, etwa vom Beispiel Barcelona.
Man spricht über autoarme oder sogar komplett autofreie Blocks. Wie stehen Sie zu solch einer Lösung für Wiesbaden?
Auch das ist ein Thema, das man durchdenken kann. Man muss sich natürlich immer wieder anschauen, was für Strukturen habe ich rundherum? Wieviel Platz habe ich? Was für verkehrstechnische Möglichkeiten habe ich in den umliegenden Bereichen? Diese Diskussion wird immer wieder geführt. Ich bin kein Freund von Bundesautobahnen in Wohngebieten, so wie ich dies beispielsweise durch die Sperrung mit der Salzbachtalbrücke in meinem Wohngebiet erlebe. Daher rennen Sie bei mir offene Türen ein. Lieber weniger Autos, als mehr Autos, aber einen innovativen und leistungsstarken ÖPNV .
Aber die entscheidende Frage ist doch die: Wohin mit den vorhandenen Autos? Wir werden niemals, auch in den nächsten 10 Jahren nicht, vollständig autofreie Lösungen bekommen, weil es gar nicht funktioniert.
Trotz verkehrsfreier Zonen und Superblocks wird der Bedarf an Autos bleiben
Wir können ja nicht alle nur noch Lieferdienste einsetzen, um das Sofa von A nach B zu transportieren. Oder den Großeinkauf der Familie. Keiner wird einen Großeinkauf machen mit drei Einkaufswagen voll und dann mit dem ÖPNV, mit dem Bus nach Hause fahren. Das heißt also, das Fahrzeug wird immer ein Bestandteil sein. Ob es ein E-Fahrzeug ist, ob es ein autonomes, fahrendes Fahrzeug ist oder was auch immer. Wir müssen irgendwo hin mit den Fahrzeugen.
Ein Gedanke bei der autofreien Gestaltung von Quartieren ist, den täglichen anfallenden Verkehr am Rand des Gebietes zu zentralisieren, um und dann intern zu verteilen. Das kann funktionieren, aber auch dann muss man weiterdenken. Was macht der Einkäufer, der den Wochenendeinkauf gemacht hat? Parkt er sein Auto dort? Wie kommt er dann vom Parkhaus in sein Wohnhaus, was vielleicht 300 Meter entfernt liegt? Kriegt er dann ein kleines Wägelchen, hat er da einen Elektro-Scooter? Ich meine, man muss solche Dinge immer bis zum Ende denken. Man kann nicht anfangen und sagen „Jetzt räumen wir alle Autos an den Rand!“.
Und was machen wir dann? Also sprich, für intelligente Lösung bin ich auf jeden Fall dankbar und aufgeschlossen für dieses Thema.
Man kann nicht anfangen und sagen „Jetzt räumen wir alle Autos an den Rand!“. Und was machen wir dann?
Andreas Steinbauer
Ich halte gerade den innerstädtischen Verkehr nach wie vor für außerordentlich kritisch . Aber man muss vernünftige Lösungen finden. Man muss Alternativen schaffen, Parkraum schaffen. Alternative Umweg-Möglichkeiten, um den Verkehr zu entlasten.
Gute Stadtplanung braucht intelligente Verkehrskonzepte und ein Maß an autofreien Zonen
Zu einer lebensgehobenen Gestaltung einer Stadt, auch von Wohn- und Gewerbegebieten, gehört ein gewisses Maß an autofreien Zonen. Um hier diese Frage abschließend zu beantworten: Intelligente Verkehrskonzepte, intelligente Planung, dann kann das funktionieren. Auch das Thema „Schwammstadt“ ist eines der wesentlichen Dinge, die gerade auch bei neuen Wohngebieten aufgegriffen werden. Das heißt, energieeffizientes Bauen plus redundante energetische Systeme – ob das jetzt Fernwärme ist oder Photovoltaik oder Erdwärme, whatever – diese Systeme mit einzubinden, plus ein hohes Maß an Aufenthaltsqualitäten mit landschaftsgärtnerisch wertvollen intensiv begrünten Zonen.
Das sind wichtige Themen, damit sich unsere Städte nicht noch weiter aufheizen (Entgegenwirken des „Heat Island Prozesses“).
Das ist das Gebot der Stunde und es gibt an vielen Stellen schon Beispiele dafür, wo solche Dinge auch schon intelligent umgesetzt werden. Das halte ich für absolut notwendig und sinnvoll.
Vielen Dank für das Interview, Herr Steinbauer.
Herzlich gerne.