Friedensreich Hundertwasser, 1928 geboren in Wien als Friedrich Stowasser, ist als Architekt, Maler, Künstler, (Öko-)Visionär und Umweltaktivist bekannt. Hundertwasser machte sich zeitlebens Gedanken über den Menschen als Teil des Kreislaufs der Natur. So war es auch sein Wunsch, nach seinem Tod im Jahr 2000 seine letzte Ruhestätte unter einem Baum auf seinem Grundstück in Neuseeland zu finden.
“Vielfalt anstatt Monotonie”, für “unreglementierte Unregelmäßigkeiten” und “ein Leben in Harmonie mit der Natur” – Umschreibungen wie diese finden sich für die Arbeit des Künstlers und Architekten Hundertwasser. Die Ablehnung der Geradlinigkeit spiegelt sich in einem einzelnen Zitat wieder:
Die gerade Linie ist gottlos und unmoralisch.
Friedensreich Hundertwasser
Der Begriff “gottlos” ist vielleicht ein bisschen radikal – Tatsache jedoch ist, dass in der Natur perfekt geformte, gerade Linien, Ecken und Kanten in der Regel nicht vorkommen.
Dem Grundsatz folgend präsentiert sich die Architektur von Hundertwasser uneben: kreisförmig, gebogen, bunt, schrill und mit ungewöhnlichen und doch natürlichen Elementen und Formen.
Gegen den “Kult des rechten Winkels” verfasste Hundertwasser das 1958 verkündete “Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur” (Link Quelle).
“Es muß endlich aufhören, daß Menschen ihr Quartier beziehen wie die Hendeln und die Kaninchen ihren Stall” – die Umschreibung passt zu der Formulierung “Legebatterien”, die manch einer in heutiger Zeit nutzt, um die Gebäude in Quartieren wie dem Frankfurter Europaviertel zu kritisieren.
Architektur für die Menschen
“Selbst wenn er das größte Architekturgenie ist, so kann er doch nicht voraussehen, welcher Art der Mensch ist, der darin wohnen wird” (Link Quelle) – so lautet ein weiteres Zitat aus dem Manifest. Gebäude beschreibt Hundertwasser als “dritte Haut des Menschen”, auf die der Mensch, der darin wohnt, natürlich Einfluss haben sollte. Das Individuelle und die Persönlichkeit spiegelt sich nur selten wieder im lieblosen “Einheitsbrei”.
Fährt man mit der S-Bahn durch Stadtteile wie das zuvor erwähnte Europaviertel, so sieht man gefühlt niemals Bewohner auf den Balkonen sitzen – wozu auch? Der Blick ginge auf eine Fassade, die mit teils französischen Balkonen fast schon Gefängnis-Charakter hat. Leben in Harmonie mit der Natur sieht anders aus.
“Mutig” und “visionär” auf der einen – “überdekoriert” und “verschwenderisch” auf der anderen Seite: Die Architektur von Hundertwasser polarisiert
“Nicht nur im Vergleich zur heute üblichen phantasielosen Quaderarchitektur kann man die Hundertwasser-Architektur als mutig und visionär einstufen. Dabei geht sie sicher gegen den Mainstream-Strich – aber sie hat eine Aussage, die sicher auch in 50 Jahren noch konträr diskutiert wird. Ganz im Gegensatz zur heute angesagten namenlosen Wohn-Architektur, die in spätestens 30 Jahren schon wieder abgerissen wird”, sagt Ralf Wolter, der sich mit seinem Unternehmen “living monuments” dem Erhalt historischer Bausubstanz verschrieben hat.
“Wo ist der goldene Mittelweg zwischen fantasievoll und überdekoriert und verschwenderisch einerseits und Bauen im industriellen Maßstab mit geringem Ressourcen-Verbrauch und geringer Umweltbelastung andererseits?”, fragt Bauhistoriker Ulrich Bücholdt berechtigterweise.
Diese Frage werden wir an dieser Stelle nicht beantworten können.
Die Architektur von Hundertwasser als Maßstab für den Wohnungsbau für “die breite Masse” zu sehen ist sicherlich nicht der richtige Ansatz. Sie hat vielmehr künstlerischen Charakter, der sich – mal mehr, mal weniger – in seine Umgebung einfügt. Neben allem “kreativen Austoben” und der kunstvollen Gestaltung waren die Gebäude in einer Hinsicht ihrer Zeit voraus: beim Blick auf das Thema Nachhaltigkeit am Bau.
Gebäude verfolgten einen nachhaltigen Charakter, bevor es “in” war
Man kann Hundertwasser als einen Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und “Green Building” bezeichnen. Lange bevor Fassadenbegrünung “in” war und man sich intensiv mit den Themen “ESG”, “Kreislaufwirtschaft” (Cradle 2 Cradle) und Zertifikaten für “grüne Gebäude” befasst hat, hat er diese Dinge einfach praktisch umgesetzt: Bäume wachsen auf der Darmstädter “Waldspirale” und in Abstimmung mit der TU Darmstadt kam beim Bau Recycling-Beton zum Einsatz.
Neben dem Aspekt der Nachhaltigkeit sollten die Gebäude mit Gärten, Begrünung und Wasserelementen ihren Bewohnern Oasen der Ruhe und Erholung bieten – und damit mehr Lebensqualität.
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Die Architektur von Friedensreich Hundertwasser in Hessen entdecken
Hier in Hessen lässt sich die Architektur von Hundertwasser hautnah erleben. Die folgenden drei Projekte machen es möglich, die Arbeit des berühmten Künstlers selbst unter die Lupe zu nehmen:
Hundertwasser in Hessen: Die Waldspirale in Darmstadt
In Darmstadt ist die farbenfrohe, ungewöhnliche Architektur von Friedensreich Hundertwasser in ihrer ganzen Pracht zu bewundern: Die „Waldspirale“ wurde hier zwischen 1998 und 2000 erbaut. Das Wohngebäude gleicht einem Märchenschloss. Insgesamt 105 Wohnungen befinden sich in der Waldspirale. Sie sind allesamt sehr unterschiedlich und nicht einmal die Fenster ähneln sich. Aus manchen von ihnen ragen Bäume heraus.
Goldene Zwiebeltürme, ein Markenzeichen von Hundertwasser, überragen das Gebäude. Wer genau hinschaut, erkennt natürliche Elemente aus der Landschaft. So spiegeln sich etwa die Bodenschichten, die unterhalb des Gebäudes vorhanden sind, in der Gestaltung der Fassade wider. Das zwölfstöckige Gebäude besteht aus Recycling-Beton und hat ein grünes Dach mit Linden, Buchen und Ahornbäumen. Im Innenhof sind ein Spielplatz, ein künstlich angelegter Fluss sowie ein üppiger Garten zu finden.
Hundertwasser gestaltete die Waldspirale, verstarb aber wenige Monate vor ihrer Vollendung. Der Architekt Heinz M. Springmann plante den Bau und führte ihn im Auftrag der bauverein AG Darmstadt aus. Einige der Wohnungen folgen auch im Inneren den Gestaltungsideen von Hundertwasser. Die meisten von ihnen sind aus Kostengründen etwas simpler, aber sie alle unterscheiden sich voneinander. Nicht einmal die Türklinken sind identisch.
Das Hundertwasserhaus in Bad Soden am Taunus
Das Hundertwasser-Haus in Bad Soden basiert ebenfalls auf Entwürfen des berühmten Wiener Künstlers. Es dient als Wohnhaus. Der Architekt Peter Pelikan war für den Bau, der 1990 endete, verantwortlich. Entstanden ist ein markantes Gebäude, das vor allem für seinen 30 Meter hohen Turm bekannt ist.
Dieses Haus von Hundertwasser in Hessen liegt in der Altstadt von Bad Soden. Es ist hat eine prächtige Fassade mit mehreren Türmen und Erkern sowie zahlreiche unterschiedliche Türme. Auch hier lässt sich Hundertwassers Versuch, gerade Linien zu vermeiden, erkennen. So fließt etwa aus einigen der Fenstern ein aufgemalter, kurviger Fluss.
Das architektonische Unikat in Bad Soden gehört zu den eher bescheidenen Werken von Hundertwasser. Dennoch ist es eine wichtige Attraktion. Heute ist das Hundertwasser-Haus grün bewachsen und in voller Pracht am Quellenpark der Stadt zu bewundern.
Die Kindertagesstätte in Frankfurt-Heddernheim
Ein drittes Werk von Hundertwasser in Hessen ist die Kindertagesstätte in Heddernheim, die im Jahr 1995 in Anwesenheit des Architekten öffnete. Die Stadt Frankfurt gab den Auftrag für den Bau, an dem auch der Architekt Peter Pelikan mitwirkte.
Einhundert Kinder haben Platz in dem Gebäude am renaturierten Urselbach. Das frühere Fabrikgelände sollte Raum für einen bewussten Kontrast zu den Wohn- und Verwaltungsgebäuden der Gegend bieten. Ein Baustopp aufgrund vermuteter Verschmutzungen im Boden verzögerte das Projekt um mehrere Jahre.
Zum Glück war es aber möglich, das farbenfrohe, naturnahe Gebäude fertigzustellen. Einige der Räume bieten direkten Zugang ins Freie. Unregelmäßig geformte Flächen, besondere Materialien wie Keramik und Holz sowie markante goldene Türme schaffen eine fantasievolle, poetische Atmosphäre für Kinder.
Redaktion:
Oliver Weber-Lapp, Laura Puttkamer
Bilder:
lapping auf Pixabay