Wien – Architektur zwischen Tradition und Moderne (Interview Herwig Spiegl, AWG – AllesWirdGut Architektur)

Wir sind auf eine „digitale Architekturreise“ nach Wien gegangen mit dem lokal ansässigen Architekten Herwig Spiegl vom Büro AllesWirdGut.
Was Eiskunstlauf und der Wiener Würstelstand mit Architektur und Städtebau zu tun haben lest ihr im Interview. Oder hört euch den Podcast an (Inhalt aktivieren).

Text: Oliver Weber-Lapp
Titelbild: (c) tschinkersten fotografie

Wir beschäftigen uns mit allen möglichen Disziplinen und Fragen in der Architektur, wobei durch unseren Standort Wien und die progressive und intensive Wohnungsbaupolitik in Wien gerade der Wohnungsbau etwas ist, mit dem wir sehr erfolgreich sind. Aber nicht nur, wir machen natürlich auch Verwaltungsbauten, Bildungsbauten, alles Mögliche in allen möglichen Maßstäben, wobei eher großmaßstäblich schon das ist, was uns am meisten bewegt.

Das Interview mit Herwig Spiegl als Podcast anhören (Inhalt entsperren)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Der Name „Alles wird gut“ passt super zur nächsten Frage: Was macht „gute Architektur“ für dich persönlich aus? Zum Beispiel – du hast das Thema Wohnungsbau gerade angesprochen – gute Architektur im Wohnungsbau in Wien.

Das ist natürlich eine herausfordernde Frage. Architektur ist – wahrscheinlich immer schon gewesen, aber heutzutage ganz besonders – eine sehr komplexe Disziplin. Es gibt einfach viele Themen, die die Architektur mittlerweile bedienen, lösen und beantworten muss. Deswegen vergleiche ich es gerne mit einer Art Eiskunstlauf. Ich bin selbst kein Eiskunstläufer, aber diese Sportlerinnen und Sportler faszinieren mich doch sehr mit dem, was sie leisten.

Zusammenspiel aus Pflicht und Kür in der Architektur

Der Eiskunstlauf hat ja immer zwei Teile. Es gibt die Pflicht, und die gibt es meiner Ansicht nach auch in der Architektur. In der Pflicht erfüllt die Architektur die vielfältigen Aufgaben und Erwartungen all derer, die in so einem Planungsprozess beteiligt sind. Das sind natürlich sehr unterschiedliche Erwartungen, ob jetzt Organisation, Wirtschaftlichkeit, Ökologie, soziologische Fragen und natürlich letztlich auch Fragen der Schönheit. In der Kür hat die Architektur die Möglichkeit, Türen zu öffnen zu Neuem, zu Gewagtem, zu Überraschendem. Einfach zu Themen, die vielleicht noch unbekannt sind, wo sich die Architektur weiterentwickeln kann. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass natürlich eine gute Pflicht die Voraussetzung ist für diese Kür, weil die Pflicht bei allen Beteiligten ein hohes Maß an Sicherheit schafft.

Wer sich sicher fühlt in seiner Aufgabe oder in der Bewältigung der Aufgabe, der lässt sich eben auch auf Unbekanntes ein. Nur so kann letztlich dann „gute Architektur“ entstehen, in diesem Zusammenspiel aus Pflicht und Kür. Wenn man dann vielleicht am Ende auch noch gute Noten bekommt von denen, die es letztlich betrifft, dann haben wir hier das Gefühl, dass wir gute Architektur geschaffen haben – so würde ich es beschreiben.

Schöner Vergleich und eine schöne bildliche Darstellung. Würdest du sagen, Digitalisierung ist, sowohl bei Pflicht, als auch bei Kür, für die Zukunft etwas, das euch unter die Arme greift – zum Beispiel auch mit Blick auf KI?

Digitalisierung ist natürlich ein Begriff, der heutzutage in aller Munde ist und ein sehr weitreichendes Feld. Da muss man schon stark unterscheiden, weil die künstliche Intelligenz, oder das, was man vielleicht landläufig darunter versteht, sind nämlich vordergründig immer noch extrem hohe Rechenleistungen, die einfach in der Lage sind, Dinge schneller zu erledigen, als wir selbst. Wie „intelligent“ die sogenannte Künstliche Intelligenz tatsächlich heutzutage schon ist, das weiß ich nicht.

Digitalisierung und Themen wie BIM unterstützen Architekten bei der Arbeit

Aber Digitalisierung hat in der Architektur schon lange Einzug gehalten und da auch ihren Platz erobert. Von daher ist sie natürlich schon Teil der Pflicht, das Gegenüber erwartet von uns als Planerinnen und Planer natürlich einfach das Integrieren von digitalen Planungsinstrumenten. BIM ist so ein Begriff, den alle kennen. Dieser digitale Gebäudezwilling, der es ermöglicht, mehr oder weniger das, was in der Zukunft dann mal sein wird, heute schon zu erleben – dreidimensional oder auch mit allen Fragen der Kosten, der Wartungsintervalle. Das ist spannend. Aber natürlich, wenn wir jetzt wieder den Vergleich hernehmen zur Kür, gibt es heutzutage unterschiedliche Instrumente, die uns zeigen, wohin denn die Planungen gehen könnte oder wie stark hier der Computer letztlich das, was wir als Architekten und Architektinnen machen, weiter unterstützen können wird.

Meine Hoffnung ist immer noch die, dass es eine Unterstützung ist, wird und bleibt und uns natürlich nicht ersetzen wird. Ich sehe vor allem ein Verschieben unserer Leistung als Architekten und Architektinnen in die vorderen Leistungsphasen. Der Computer erleichtert uns die schwere oder mühsame Arbeit in den späteren Leistungsphasen und schenkt uns mehr Zeit und Möglichkeiten in den vorderen Leistungsphasen, um gut darüber nachzudenken, was wir denn eigentlich planen wollen. Und vielleicht auch wieder viel Zeit mit dem Gegenüber, eben tatsächlich intensiv darüber nachzudenken, was und wie es werden soll, was man uns da anvertraut. Von daher ist es natürlich sowohl in der Pflicht schon verankert, aber auch in der Kür das Überraschende und Gewagte.

Blick auf Schloss Schönbrunn und dahinter die Stadt Wien; Foto: Alpineguide

Wir blicken auf eure Heimatstadt: Warum würdest du sagen, lohnt sich eine Architekturreise nach Wien beziehungsweise der Blick auf Architektur und Städtebau in Wien?

Wien ist eine spannende, faszinierende Stadt. Das sage ich jetzt nicht nur, weil ich hier wohne und lebe. Ich bin ja kein Wiener, ich bin im Westen Österreichs geboren. Von daher habe ich vielleicht nicht diesen „Lokalstolz“ des hier Geborenen. Aber ich lebe schon sehr lange hier und die Stadt hat mich in ihren Bann gezogen. Immer wieder wird sie ja zu einer der lebenswertesten Städte der Welt gekürt, in unterschiedlichen Studien. Das tut natürlich dem Wiener Herz gut. Ich glaube, dass sich das tatsächlich für die meisten, die einen Besuch nach Wien wagen, auch bestätigt.

Die Stadt ist extrem vielfältig, alleine schon durch ihre Geschichte, durch ihre Lage, auch in Europa. Sie liegt ja mittlerweile durch die entsprechende Osterweiterung der EU sehr zentral. Wien war aber immer schon ein bisschen der Schnittpunkt von Ost und West und auch bereits vor 150 Jahren ein Hotspot an unterschiedlichsten Menschenkulturen. Damit natürlich auch ein sehr kreativer Ort, weil man eben auch eingeladen war, immer so ein bisschen andere Perspektiven und Blicke einzunehmen, wozu diese Vielfalt an Menschen und deren Hintergründe mehr oder weniger zwangsweise geführt hat. Ich glaube, dass diese Geschichte sich bis heute in dem, was Wien heute darstellt, auch immer wieder niederschlägt.

Architektur und Stadtentwicklung in Wien – eine der lebenswertesten Städten

Es gibt so wahnsinnig viel über Wien zu erzählen. Man weiß eigentlich eigentlich gar nicht, wo man anfangen soll. Wien hat natürlich wunderschöne und faszinierende historische Bauten, die es wert sind, eine Reise nach Wien zu unternehmen. Aber auch stadtplanerisch eine spannende Geschichte, die weit zurückliegend beginnt, um 1530, zu Zeiten der Türkenbelagerung, als man beschlossen hat, die sogenannte“ „Innere Stadt“, einen Befestigungswall, zu errichten – mit den heute noch immer sichtbaren Bastien, also diesen Befestigungsbauten und dahinter eine bebauungsfreie Zone, die sogenannten Glacis.

Das sind alles Spuren, die in der heutigen Stadtplanung immer noch sichtbar sind, die auch dazu geführt haben, dass man 1850 beschlossen hat, man braucht diese Befestigungsbauten nicht mehr und die Ringstraße errichtet hat. Die Ringstraße ist heute für alle Wien-Touristen ein wunderbares Element, weil man in einer sehr kompakten Art und Weise die historische Bauten Wiens an einer Linie aufgefädelt erleben kann. Ob das die Oper ist oder das Burgtheater, das Rathaus oder das Parlament. Das ist ja das, warum die meisten Menschen nach Wien kommen. Dieses Zusammenspiel aus der ehemaligen Monarchie.

Wir kennen alle Sisi und, was damit verbunden ist, Schloss Schönbrunn. Wien hat eines geschafft: Es hat diese sehr progressive Stadtplanung und dieses Verweben von Stadtplanungspolitik, also Politik und Stadtplanung, bis ins heute behalten und auf eine einzigartige Art und Weise weiter fortgesetzt. Das führt letztlich dazu, dass Wien eben heute immer noch als eine der lebenswertesten Städte bezeichnet wird. Unter anderem, weil Wien immer noch sehr leistbar ist und gerade im Wohnungsbau eine hohe Qualität für diese sogenannten sozial geförderten Wohnungen anbieten kann. Und das ist in der Zeit oder in der Welt von heute schon etwas, was besonders und einzigartig ist.

Bezahlbares Wohnen in der Stadt Wien

Warum das so ist, das hat natürlich auch mit einer gewissen Tradition des geförderten Wohnungsbaus in Wien zu tun. Und mit der Tatsache, dass die Stadt einfach über sehr lange Zeit sozialdemokratisch regiert wurde, und immer noch ist ,und die Wohnbaupolitik einfach ein ganz zentraler Bestandteil dieser Stadtpolitik schon immer war. Gerade auf dem Gebiet wurde viel an Innovation zustande gebracht. Die interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer (Anm.: Leserinnen und Leser) kennen möglicherweise den Karl-Marx-Hof. Eine der ersten Wiener Wohnbauten, die für eine Vielzahl an Menschen ein lebenswertes Umfeld sichergestellt haben.

Innenhof des Karl Marx-Hof, Wien, Österreich; Foto: B.O’Kane

Das ist etwas, was man bis heute ganz stark weiter fördert. Das macht einen speziellen Reiz einer Architekturreise auch nach Wien aus, neben aller anderen spannenden Projekten von namhaften Architekten. Ich würde immer empfehlen, eine Reise zu den unterschiedlichen sozialen Wiener Wohnbauten der unterschiedlichen Dekaden des letzten Jahrhunderts zu machen.

Du hast das Thema Vielfalt gerade auch schon angesprochen – zwischen Tradition und Innovation, zwischen einerseits Kultur, Kulinarik und aber auch Bürowelten – was würdest du sagen, sind da persönliche architektonische Highlights in Wien?

Wien ist, wie gesagt, ein Schmelztiegel von Unterschiedlichem. Man hat in Wien die Möglichkeit, wenn man einfach mehr oder weniger ziellos herum spaziert, an Orte zu kommen, wo sich diese Unterschiedlichkeit und diese Vielfalt stark etabliert hat und auch ausdrückt in ganz unterschiedlichen Situationen. Wenn wir von der Kulinarik sprechen, dann gibt es ja tolle, hochpreisige und, auch kulinarisch gesehen, hochwertigste Lokalitäten.

Es gibt aber auch den berühmten Wiener Würstelstand. Das Schöne an diesem Wiener Würstelstand ist, dass dort der sogenannte Hofrat – Wien, oder auch Österreich, ist ein Land der Titel – genauso auf den Wiener Hausmeister bei einer heißen Wiener Wurst trifft.
Und man hat die Chance, dort ins Gespräch zu kommen. Es entstehen tatsächlich auch lustige, wunderbare Gespräche. Das spiegelt, finde ich, diese gelebte Vielfalt wider. Wien war ja nie eine Stadt, die stark zu einer Ghettoisierung geführt hat, weil eben auch dieser soziale Wiener Wohnungsbau seine Bauten auch wirklich über die Stadt verteilt hat und ja auch die Zugangsmöglichkeiten zu den Wohnungen in diesen Bauten sehr breit gesteckt hat.

Wie am Würstelstand: Begegnungen unterschiedlicher sozialer Schichten sollen auch in den Wohnbauten gefördert werden

Es war ja nicht nur den sozial Schwachen vorbehalten, sondern man hat ja eine relativ breite Einkommensspreizung zugelassen, um bewusst diese Vielfalt zu fördern, sodass eben auch Einkommensschwache neben durchaus einer annähernden Mittelschicht in diesen Gebäuden wohnen und einander dann auch treffen, kennenlernen und miteinander austauschen. Also das, was beim Würstelstand stattfindet, hat man ganz bewusst auch in den Wohnbauten gefördert. Und das führt einfach zu dieser sehr speziellen Stimmung in Wien, wo eben alles aufeinander trifft und diese Grüppchenbildung oder diese Segregation oder diese Gentrifizierung lange auf sich warten lassen hat. Es gibt sie natürlich auch.

Erfreuen sich großer Beliebtheit, sodass man schon mal Schlange stehen muss, wie hier beim Wiener Würstelstand vor der Albertina Kunstgalerie (Bild: Dorota Szymczyk)

Ein Architekturspaziergang durch Wien lohnt nicht nur dank der Wiener Küche

Wenn ich jetzt Kulinarik-Tipps abgeben müsste, dann gibt es natürlich ein wunderbares „High-End-Restaurant“, das Steirereck im Stadtpark – wenn man sich das leisten will. Das ist auch architektonisch ein Highlight von PPAG-Architekten. Man kann auch sehr toll im Donauturm in dem Restaurant speisen. Einen 360-Grad-Blick über Wien wagen, weil sich das Restaurant um die eigene Achse dreht. Das ist sicherlich ein Erlebnis in dieser Höhe. Es gibt aber auch hinter unserem Bürostandort eine lebendige Szene an kleinen Restaurants, die von Asiatisch über Indisch aus aller Herren Länder Kulinarik anbieten und das wirklich sehr hochwertig, aber fast schon ein bisschen boboistisch.

Restaurant Steirereck in Meierei im Stadtpark, Foto: volkerpreusser

Von daher lohnt es sich einfach, sich auf einen Spaziergang einzulassen und dann zu schauen, wo man hinkommt. Auch das urigste Wiener Beisl (Anm.: typisches Wiener Esslokal) mit der klassischen Wiener Küche, die sehr Innereien-lastig ist, ist immer ein Besuch wert. Es ist eben nie allein das Essen, weswegen man in ein Restaurant oder Beisl geht, sondern die Menschen, auf die man dort trifft. Und die sind vielfältig und zum Teil sehr lustig. Von Stammgästen, die dort ihre Achterl Wein trinken, bis hin zu internationalen Gästen. Das kann ich nur empfehlen.

Die Gösserhalle in Wien; Bildrechte: (c) tschinkersten fotografie

Lass uns auf eure eigenen Projekte schauen. Ihr habt ein wunderbares Beispiel zum Umbau von historischem Bestand, das Projekt „Gösserhalle“. Worum konkret ging es dabei? Kannst du das Projekt kurz vorstellen?

Das ist insofern ein für uns besonderes und spezielles Projekt, weil es ein Bestandsobjekt betrifft, das es so in der Form in Wien grundsätzlich relativ selten gibt, schon gar nicht in dieser Lage. Wir sprechen hier von „fast Innenstadtlage“, einen Steinwurf vom Wiener Hauptbahnhof entfernt. Es handelt sich hier um eines dieser Stadtentwicklungs-Gebiete, das die Stadt Wien identifiziert hat. Das „Neue Landgut“ nennt sich das Stadtviertel, in dem die Stadt auf relativ großen, zusammenhängenden Flächen zusammen mit den Grundstückseigentümern, wenn sie nicht selbst Grundstückseigentümerin ist, eine städtebauliche Planung beauftragt und dann hier sehr guten Wohnungsbau gemischt mit Gewerbeflächen anstrebt.

Im Fall des Neuen Landguts handelt es sich um ehemalige Flächen der Österreichischen Bundesbahn. Die Österreichische Bundesbahn hatte unterschiedliche Werkshallen auf diesem Gelände, deswegen auch die Nähe zum Hauptbahnhof. Und eine dieser ehemaligen Werkshallen war ursprünglich zur Reparatur von Lokomotiven vorgesehen, das ist diese sogenannte Gösserhalle. Die Halle heißt deswegen Gösserhalle, weil sie mittlerweile nach einer österreichischen Brauerei benannt ist. Diese Brauerei hat nach der Nutzung als Werkstatthalle für die Lokomotiven diese Halle als Lager für ihre Bierfässer genutzt und von dort aus das Umland beliefert hat.

Wandel von der Bahn-Werkstatthalle zur Brauerei-Lagerhalle hin zur Veranstaltungshalle und nun zur Büronutzung

Vorher-Nachher; Bildrechte: (c) tschinkersten fotografie

Danach war diese Halle als Veranstaltungshalle eigentlich ein fixer Bestandteil der Veranstaltungsszene in Wien. Und dann wurde vom aktuellen Eigentümer im Zuge eines Wettbewerbsverfahrens ausgeschrieben, sie zu konvertieren in ein zeitgemäßes Bürogebäude. Die Stadt hat diese Halle mehr oder weniger geschützt als Objekt dieses Stadtentwicklungsgebietes, weil sie gesagt hat, eine Stadtentwicklung braucht auch immer einen Identifikationspunkt. Was ist besser geeignet für das Schaffen von Identifikation als ein Gebäude, das einfach schon sehr lange diesen Ort prägt?

Es handelt sich um eine alte Industriehalle, die eben in Ziegel/Klinker gebaut ist und das ist etwas Besonderes in Wien. Ich glaube, die Leute mögen das sehr gerne – diese alten Gebäude, eben weil es auch wenige gibt und weil natürlich nicht alle erhalten werden. Von daher war die Entscheidung, den Bau zu erhalten, schon richtig. Und das ist etwas, das von Anfang an in diesem Entwicklungsgebiet steht. Das heißt, es ist von Anfang an auch gesichert, dass hier Identität entstehen kann mit dieser Halle. Unsere Aufgabe war es, in diese bestehende Halle, oder in das, was tatsächlich erhaltungswürdig ist, ein Bürogebäude, das natürlich ganz anderen Ansprüchen genügen muss und das auch für das Morgen gerüstet sein muss, einzuplanen.

Herausforderungen bei der Umnutzung von Bestandsbauten

Es gibt natürlich heute im Bürobau etabliertes Wissen, was denn „gut und richtig“ ist und was man braucht, um den Anforderungen an Flexibilität im Bürobau genügen zu können. Das hat letztlich viel mit gewissen Abmessungen, Größen, Trakttiefen und Belichtung zu tun. Um alle Bedürfnisse, die man heute vielleicht noch gar nicht kennt, die sich aber stetig wandeln und verändern, dann letztlich befriedigen zu können. Ob das wieder das Zellenbüro ist oder weiterhin das Großraumbüro – das werden wir in der Zukunft sehen. Es verändert sich ja sehr viel.

Von daher gibt es natürlich auch Trakttiefen, die sich da sehr gut eignen. Und irgendwann einmal ist eine Trakttiefe dann vielleicht zu groß, weil sie Dunkelzonen produziert, die man nicht mehr gut bespielen kann. Wir wollen ja auch Tageslicht nutzen, um energiesparsam, natürlich, gut und günstig arbeiten zu können. Daher hat natürlich so eine Halle, die ursprünglich für eine Lokomotiven-Werkstatt geplant war, nicht unbedingt das ideale Maß für einen Bürobau. Das war aber genau das Spannende in dem Fall. Wenn man diese zwei Gebäude, die alte Halle und ein neues, ideales Bürogebäude, übereinander legt, dann ergibt sich eine gewisser Bereich, der von der Halle angeboten wird, vom Büro aber nicht genutzt werden kann.

Neu und Alt birgt in der Architektur einen besonderen Zauber

Den haben wir ganz bewusst als sogenanntes „Geschenk“ ausgespart und unbebaut belassen. Das ist die Zone zwischen alter Mauer, Bestandsmauer und neuer, innerer Bürofassade, weil wir gesehen haben, dass das etwas ist, das das Potenzial zu einem ganz speziellen Ort hat. Gerade heutzutage, wo wir ja alle immer die höchstmögliche Ausnutzung anstreben müssen, wirtschaftlich zu sein, ist es natürlich ein sehr großes Gut, wenn man den Luxus hat, das gerade nicht tun zu müssen und einen Bauherrn hat, der versteht, dass in dieser Nichtnutzung das Besondere zum Ausdruck gebracht werden kann.

Und dieser Zwischenraum zwischen Neu und Alt birgt natürlich einen ganz besonderen Zauber räumlicher Qualität und Lichtstimmung, aber natürlich auch in der Auseinandersetzung zwischen Alt und Neu. Dadurch, dass er tatsächlich auch begehbar und erlebbar ist, macht das dieses Projekt für uns zu einer speziellen Aufgabe und letztlich auch zu einem speziellen Resultat, was allen viel Freude bereitet. Ich habe vorhin von Pflicht und Kür gesprochen und davon, dass die Pflicht den Auftraggebern und den Nutzern immer eine gewisse Sicherheit bieten muss. In dem Fall haben wir ein sehr robustes Bürogebäude errichtet. Das gab eben die Sicherheit, in der Kür dann diesen speziellen Zwischenraum anbieten zu können und den Bauherren damit zu überraschen und eben auch all jene, die dieses Gebäude betreten.

Bild: (c) tschinkersten fotografie

Ganz allgemein zu dem Thema Revitalisierung: Würdest du sagen, dass der Umgang mit Bestand eine Chance ist, auch für Städte wie Wien?

Ich würde sagen, es ist ein absolutes Muss. Eine gute Freundin von mir, die sich zuletzt für den Deutschen Pavillon auf der Architektur-Biennale verantwortlich gezeichnet hat, Annabelle, hat gesagt, man darf heutzutage kein einziges Gebäude mehr abreißen. Und in dieser radikalen Aussage liegt sehr viel Wahrheit. Wir müssen alles das, was wir schon gebaut haben, bestmöglich weiter nutzen. Von daher ist das ja auch eine spannende Aufgabe für die Architektur von morgen und etwas, mit dem wir uns auch beschäftigen wollen. Das birgt natürlich auch die Chance, die Architektur ihrer Zeit entsprechend weiterzuentwickeln und ihr eine ganz spezielle Note zu verpassen.

Nach all diesen unterschiedlichen Strömungen, die wir in der Vergangenheit ablesen können, kommt in Zukunft die Zeit des Bestandserhalts. Wir versuchen das natürlich ganz stark zu forcieren und die entsprechenden Beispiele zu realisieren, um letztlich dann auch das notwendige Gefühl und Vertrauen beim Gegenüber erwecken zu können, dass wir das auch können. Es ist eine sehr spezielle Art der Planung.

Es ist nicht immer eine einfache, weil sie sehr viel Überraschungen mit sich bringt, die man vorab nicht alle vorhersehen kann. Von daher erfordert das auch im Planungsprozess viel Flexibilität. Schnelles Reagieren auf sich verändernde Rahmenbedingungen, im Gegensatz zu dem Neubau auf der sogenannten grünen Wiese, wo man vielleicht die Überraschungen im Baugrund hat, aber ansonsten eigentlich wenige. Aber genau das macht vielleicht auch den speziellen Zauber dieses Bauens im Bestand aus. Da tut sich etwas Tolles, Neues auf.

Modell: MATTWEISS / AllesWirdGut Architektur

Wir schauen noch auf ein zweites Projekt eures Büros. Der Nordbahnhof, wo auch das Thema Umweltschutz eine Rolle spielt. Kannst du dazu auch kurz noch was erzählen?

Das ist natürlich ein sehr spannendes Wiener Stadtentwicklungsgebiet, für das wir als Büro uns nicht für den Städtebau verantwortlich zeichnen – das war das Büro StudioVlayStreeruwitz, die immer wieder extrem tolle Stadtplanungs-Projekte präsentieren. So auch hier, weil auch hier wieder auf ehemaligen Flächen eines Bahnhofs die Stadt vorausschauend und rechtzeitig mit den österreichischen Bundesbahnen in Kontakt getreten ist und entsprechende Verwertungs-Szenarien verhandelt hat und damit wiederum auf eine extrem wertvolle, unglaublich große, innerstädtische Fläche zugreifen konnte und kann.

Es ist ihr eben auch gelungen, mit den österreichischen Bundesbahnen entsprechende Vergabemodelle zu entwickeln, die nicht ausschließlich den Profit beim Grundstücksverkauf in den Vordergrund stellten, sondern tatsächlich die besten Konzepte für die Vergabe dieser Grundstücke. Vielfach werden auch die Grundstücke gar nicht mehr veräußert, sondern nur mehr mit entsprechenden Baurechtsmodellen vergeben.
Man versucht einfach, Grund und Boden der Spekulation zu entziehen und damit einen Faktor, der die Preise treibt und sich letztlich für die Unleistbarkeit von Wohnen verantwortlich zeichnet, in den Griff zu bekommen.

Feldhasen inmitten von Wien – wie Stadtplanung Natur erhält

Wieder zurück zu dem Projekt als solchem: Der Nordbahnhof ist ein Gebiet, das eigentlich klassische Wiener Gstätten (Anm.: „Stadtwildnis“) gewesen ist. Das ist sozusagen unkultiviertes Land, das mehr oder weniger von der Natur zurückerobert wurde. Also invasive Pflanzen, Unkraut und so etwas. Eigentlich ein gesundes Habitat für Fauna und Flora. Sogar Feldhasen hoppeln hier herum. Und dieses Gebiet wurde einer Stadtplanung unterzogen und die Kolleginnen und Kollegen von StudioVlayStreeruwitz haben hier eine sehr gute und vorausschauende Planung angeboten.

Sie haben nämlich beschlossen, dass genau das eigentlich bleiben muss in der Mitte. Und Sie haben unter dem Titel „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“ (Quelle), ein Stadtplanungs- und Wohnungsprojekt vorgeschlagen, das zugunsten einer freibleibenden grünen Mitte, ein bisschen vergleichbar mit dem Central Park in New York, die notwendige Dichte, die Stadt anbieten muss, an die Ränder dieser grünen Mitte zu setzen und dort entsprechend hoch zu werden. Also von den üblichen, sagen wir mal vier bis fünf bis sechs Geschossen der klassischen Wiener Gründerzeitbebauung abzurücken und hier auch punktuell hohe Häuser anzubieten und dadurch sicherzustellen, dass diese Mitte eben grün bleiben kann. Und diese grüne Mitte funktioniert ein bisschen wie ein Zwiebelprinzip.

Illustrationen: AllesWirdGut

Grüne Stadtplanung in Wien nach dem „Zwiebelprinzip“

Das heißt, an den dichten Rändern, wo die Bebauungen stehen, ist sie natürlich sehr stark einer grünen Planung unterzogen und unterworfen. Die Freiraumplanung ist zeitgemäß für die Menschen. Je weiter man in die Mitte kommt, desto mehr nimmt sich diese vermeintlich geplante Natur zurück und überlässt sie der Wildnis. Das schafft eine Stadtplanung, die heutzutage Tage wirklich notwendig ist und zukunftsweisend, weil sie die Natur in die Stadt bringt, hier auch wieder Identität schafft und Naherholungsräume.

Auch lesenswert
3 Fragen, 3 Architekten #1 – lebenswerte Städte gestalten (Deutschland – Luxemburg – Schweiz)

Architektur und Stadtplanung in Wien rund um den Nordbahnhof erleben

Die Kinder haben die Möglichkeit, auch den Feldhasen zu sehen. Also all das, was man ja der Stadt und dem Leben hier oft vorwirft, die Entfremdung zur Natur, dem wird ganz bewusst entgegengearbeitet. Es wird die Notwendigkeit von Mobilität reduziert, weil man vor Ort mehr oder weniger alles findet. Und wir haben hier auch unter anderem ein Wohnhochhaus im Bau mit ungefähr 300 Wohneinheiten. Klassisch nach dem Wiener sozialen Wohnbaumodell entstanden über einen Wettbewerb mit unterschiedlichen soziologischen Aspekten des Zusammenwohnens, die auch ganz bewusst gefordert und letztlich auch gefördert werden. Diese Wohnbauten sind ja nicht nur gute Grundrisse, was die Wohnung betrifft, sondern vor allem im Zusammenspiel aus Öffentlichkeit und Privatheit und Gemeinschaft sehr speziell und besonders.

In diesem Umfeld gibt es einfach eine Vielzahl an wirklich sehenswerten Gebäuden. Wenn man wenig Zeit hat und viel erleben will in Richtung Architektur, dann ist das sicherlich einer der besten Orte, weil er nicht weit weg vom Zentrum ist und gut erreichbar über öffentliche Verkehrsmittel, wie fast alles hier in Wien. Aber eben auch ein sehr spannendes Potpourri an zeitgemässer Wiener, österreichischer Architektur von den ganzen vielen Kolleginnen, die es da gibt und tolle Konzepte.

Visualisierung: spirit pixel – Simonicek/ AllesWirdGut Architektur

Beide von dir vorgestellten Projekte klingen spannend. Dann zum Schluss noch eine letzte Frage an dich: Hast du ein persönliches Lieblingsprojekt aus deiner Vergangenheit, das du umsetzen durftest?

Das werde ich oft gefragt und Nein, habe ich nicht, weil das auch immer ein bisschen wechselt. Es gibt natürlich immer unterschiedliche Themen, die einen auch persönlich interessieren und mit denen man sich selbst befasst. Ich glaube, dass sich die eigenen Lieblingsprojekte dann immer der Zeit entsprechend verändern. Aber es gibt natürlich Projekte, die für mich und für unseren Bürolebensweg einfach entscheidend und einschneidend waren. Und da ist natürlich das allererste Projekt das Allerwichtigste, weil ohne das gäbe es uns ja nicht.

Dieses kleine Dorfzentrum in einem Tiroler Dorf des Tiroler Oberlands in Fließ ist für uns sicherlich eines unserer Lieblingsprojekte. Aber dann gibt es auch ganz andere, experimentelle Projekte, mit denen es uns gelungen ist, die Medienaufmerksamkeit im weitesten Sinn nicht nur in der Architekturwelt, sondern breit gefächert auf uns zu ziehen. Dazu gehört etwas, das im Internet unter dem Namen turnOn zu finden ist. Eine experimentelle Wohnvision, die natürlich heute schon wieder aus der Zeit gefallen ist, aber damals ihre Berechtigung hatte. Ansonsten ist für mich natürlich immer das mein Lieblingsprojekt, mit dem ich mich aktuell beschäftigen muss und darf. So gesehen wechselt das auch immer.

Foto Bildrechte: Hertha Hurnaus

Der Architekt als Sparring-Partner

Aber im Hintergrund meines Arbeitsplatzes hängt ein Ausdruck eines Bildes eines unserer Projekte, das mir sehr gut gefällt. Das ist der Römersteinbuch oder Steinbuch St. Margareten. Eine Open Air Festival Arena für ein großes Opernfestival hier im Burgenland, südlich von Wien. Auch eine spezielle Aufgabe. Natürlich ist alles, das vom Ort her schon ein Setting liefert, das man nur ganz selten vorfinden kann, sehr speziell und es macht natürlich dann viel Spaß, darin zu arbeiten.

Fotos Galerie Bildrechte: Hertha Hurnaus

Aber am meisten Spaß macht es natürlich mit einem Gegenüber, das die eigene Kompetenz, die man mitbringt, nicht nur anerkennt, sondern auch einfordert und zulässt. Wo man irgendwo zusammen, wie so ein Sparrings-Partner mit dem Auftraggeber, dann tatsächlich Besonderes umsetzen und realisieren kann. Ein bisschen eine „Wischi-Waschi-Aussage“ von einem Fast-Wiener, aber es lässt sich nicht anders beantworten für mich.

Schönes Schlusswort. Vielen Dank auf jeden Fall für deine Antworten.

Gerne.

„Alles isst gut“: Architektur und Kulinarik vereint in der Kantine von AllesWirdGut in Wien

Galerie Bildrechte: (c) tschinkersten fotografie, 2018

Architekturreise nach Österreich? Nicht nur Wien bietet viel – in Jois im Burgenland lohnt der Blick auf das Weingut Leo Hillinger

Auch lesenswert
Architektur und Wein in Jois im Burgenland (Österreich) | Interview mit Leo Hillinger
Scroll to top
Close