Zukunftsweisend bauen für Jung und Alt – ein Blick auf die Architektur des Sport- und Bildungscampus Bürstadt

Katharina Rauh und Gero Quasten vom Büro “prosa Architektur und Stadtplanung” aus Darmstadt beschäftigen sich mit den namensgebenden Schwerpunkten “Architektur” und “Stadtplanung”.

Interview mit Katharina Rauh und Gero Quasten von prosa Architektur + Stadtplanung

Interview / Text: Oliver Weber-Lapp
Copyright der Architekturfotos im Beitrag: Rahel Welsen

Katharina Rauh und Gero Quasten vom Büro “prosa Architektur und Stadtplanung” aus Darmstadt beschäftigen sich mit den namensgebenden Schwerpunkten “Architektur” und “Stadtplanung”.

Gero Quasten ist für den baulichen Teil zuständig, Katharina Rauh für den städtebaulichen Bereich. Trotz einer gewissen Aufgabenteilung ergeben sich immer wieder Überschneidungen: Architektur-Projekte haben immer etwas mit Städtebau und Stadtplanung zu tun. Umgekehrt haben auch die Projekte in der Stadtplanung immer einen Bezug zur Architektur.

Die beiden haben so stets das “große Ganze” im Blick – wie etwa beim Sport- und Bildungscampus in Bürstadt, den wir Ihnen im nachfolgenden Interview vorstellen.

© Porträtfoto: Anna-Sophie Photography (Anna-Sophie Foret)

Ihr Büro in Darmstadt trägt den Namen „prosa Architektur und Stadtplanung“. Welcher Gedanke oder welche Geschichte steckt hinter diesem Namen?

Gero Quasten: “Architektur und Stadtplanung” – das erklärt sich ja von alleine. “Prosa” – manchmal wissen wir offen gestanden gar nicht so genau, wo der Name vor inzwischen 22 Jahren wirklich herkam. Aber er charakterisiert trotzdem ganz gut das, was wir tun. Denn wir machen gut gestaltete und gut geplante Alltagsarchitektur. So wie die Prosa die Sprache des Alltags ist, tun wir das mit Architektur und Stadtplanung, also sehr bewusst und auch auf einem sehr hohen qualitativen Standard, aber wir machen eben keine„Lyrik“. Wir haben sehr alltagstaugliche und bodenständige Projekte, und das auf einem guten Level. Das ist so ein bisschen der Hintergrund.

Katharina Rauh: Projekte dürfen auch mal lyrisch sein, aber wir verstehen uns eben nicht als Künstlerinnen und Künstler, sondern wir sind Architekten und Architektinnen und Stadtplaner und Stadtplanerinnen und machen daraus das Beste. Aber eben so, dass man damit auch gut leben kann.

© Rahel Welsen | Darmstadt-Kranichstein, Erich-Kästner-Schule

Jetzt haben Sie der nächsten Frage sogar schon ein Stück vorgegriffen, nämlich der Frage, was denn gute Architektur ausmacht. Sie hatten unter anderem die Qualität genannt. Was zeichnet allgemein gute Architektur aus?

Katharina Rauh: Aus meiner Sicht als Stadtplanerin macht gute Architektur aus, dass sie selbstverständlich im Raum steht, also ein Teil der Stadt ist. Sie darf sich ruhig auch ein bisschen ernst nehmen, aber sie darf sich nicht zu ernst nehmen. Sobald irgendwo ein Objekt steht, was einfach nur ausdrückt “ich bin großartig und toll und ich sehe schön aus, was willst du eigentlich von mir?” kann es schwierig sein. Es kann aber auch im richtigen Moment genau richtig sein. Also ist es sehr diffizil. Und gute Architektur macht vor allen Dingen aus, dass man sie gut benutzen kann, dass die Nutzer*innen damit zufrieden sind und dass sie nach zehn Jahren noch sagen “Mensch, dass IHR dieses Haus gebaut habt ist super! Das ist genau richtig.”

Gero Quasten: Und gute Architektur macht, neben dem, was Katharina gesagt hat, meines Erachtens auch aus, dass sie eine gewisse Robustheit hat, also natürlich gegenüber den klassischen äußeren Einflüssen wie Wind und Wetter, aber auch Robustheit gegenüber Zeitgeist-Strömungen.
Gute Architektur steht in 10, 20 und bestenfalls 50 oder 100 Jahren noch gut da, ohne zu sehr “ein Kind ihrer Zeit” zu sein. Auch da probieren wir, nicht zu sehr in Moden zu verfallen.
Das fällt manchmal schwer, aber wir versuchen, uns möglichst freizumachen von zu viel modischen Tendenzen.

Katharina Rauh: Genau, robust und flexibel. Dieses “einen Schritt weiterdenken” ist wichtig!
Wenn zum Beispiel aus der Krippe ein Kindergarten wird oder andersrum, dann sind eben andere Dinge nötig. Gute Architektur kann das dann auch, dass sich etwas verändert und sie dann immer noch gute Architektur ist.

Haben Sie das Gefühl, dass man in der Vergangenheit eher langfristig oder für die Zukunft gebaut hat? Und heute eher kurzlebigen Moden und Trends folgt?

Gero Quasten: Das kommt vielleicht auf die Zeit und auf die Bauaufgabe an. Früher hat man sich auch die Frage nicht so gestellt, sondern man hat das gebaut, was möglich war – mit den Ressourcen, die zur Verfügung standen. Und das waren oft dann auch sehr nachhaltige, langlebige Gebäude.
Jetzt, seit der zweiten Hälfte 20. Jahrhunderts, haben wir natürlich unendlich viele Möglichkeiten an Materialien und anderen Dingen zur Verfügung. Das macht es fast schon schwerer, langfristig zu bauen, weil man auch teilweise von der Entwicklung überholt wird.

Ich glaube, es ist kein Zufall, dass wir momentan viele Gebäude, die 40, 50 Jahre alt sind, sanieren oder abreißen, während Gebäude, die 100, 150 Jahre alt sind, eigentlich noch ganz gut dastehen und nicht ganz so sehr in Frage gestellt werden, wie zum Beispiel die Bauten aus den 70er und 80er Jahren.

© Rahel Welsen | Darmstadt-Kranichstein, Erich-Kästner-Schule

Wir haben bei „the good place“ die Orte, an denen wir wohnen, arbeiten und leben im Blick, aber auch das große Ganze. Sie hatten es selber bereits angedeutet: Stadtentwicklung, Stadtplanung, Architektur – das spielt alles zusammen. Das eine geht nicht ohne das andere. Was darf Architektur in der Stadt Ihrer Meinung nach, insbesondere mit Blick auf Revitalisierung, Bauen im Bestand oder eben beim Neubau – zum Beispiel innerhalb eines bestehenden Quartiers?

Katharina Rauh: Also ich glaube, erstmal darf Architektur “alles und nichts”. Man kann nicht sagen, sie darf irgendetwas nicht, auf gar keinen Fall. Ich denke, es ist immer wichtig, den Ort zu verstehen, das Quartier zu verstehen, die Umgebung zu verstehen und eben nicht nur auf das eigene Grundstück zu gucken, sondern auf das Umfeld zu schauen: Was ist da los?

Architektur darf sich nicht so wichtig nehmen. Aber sie sollte sich auch wichtig nehmen. Es ist nämlich erstaunlich, wie stark uns Räume, Farben und Materialien prägen.
Eben nicht nur den Menschen, der darin wohnt, sondern eben auch den Nachbarn und die Nachbarinnen, die Kinder, die drum herum flitzen und letztlich die Natur, die Flora, die Fauna.
Dabei gilt es, mit einem gewissen Respekt vor dem Bestand zu planen und trotzdem aber auch zu gucken, was von dem Bestand denn vielleicht nicht gut ist und die Frage zu stellen, wie wir ihn modifizieren können. Alles in dem Sinne, dass man nicht anfängt Dinge abzureißen, um sie dann an der gleichen Stelle neu zu bauen. Sondern zu schauen, was kann ich erhalten und wie mache ich das?

Und das sind ja auch Ortsbild prägende Situationen, die tragen ganz viel zur Identität bei. Etwa, wenn irgendwo ein alter Schornstein steht, weil da eine Fabrik war. Nur, weil dieser jetzt nicht mehr gebraucht wird, heißt das nicht, dass man ihn abreißen sollte, sondern, dass man eben schauen muss, was man damit machen kann. Ich glaube, es macht die Menschen glücklich, wenn sie sagen können “Ja, dahinten, da wo der Schornstein steht, da wohne ich”. Das ist eben auch was Besonderes.

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Neben Stadtplanung, Bürowelten und Wohnungsbau sind Sie auch im Bereich der Bildungsgebäude tätig. Was fasziniert Sie an der Arbeit mit gerade solchen Neubauprojekten, zum Beispiel Schulgebäuden, Kindertagesstätten oder Bildungszentren?

Gero Quasten: Es ist unserer Meinung nach einfach eine der schönsten Bauaufgaben, die man sich vorstellen kann. Es ist eine unheimlich dankbare Aufgabe. Man baut für junge Menschen, die sich entwickeln. Bauwerke prägen auch ein Stück weit, sowohl positiv wie negativ. Wir versuchen natürlich, ihnen einen guten Rahmen zu bieten, diese Entwicklung zu ermöglichen. Da gibt es viele funktionale, aber eben auch gestalterische Aspekte und immer das große Thema ressourcenschonend zu bauen.

Und was uns auch erfreut, dass mit diesen Gebäuden erst mal kein Geld verdient wird. Das klingt so banal, aber wenn man im kommerziellen Wohnungsbau unterwegs ist, dann herrscht ein unglaublicher, wirtschaftlicher Druck im Sinne von Ertragserzielung. Auch wir bauen unsere Schulen und Kindergärten sehr budgetbewusst, weil die öffentliche Hand natürlich nicht unendlich viel Geld hat. Aber nicht jeder Quadratmeter erzeugt eine Rendite.

Und das ermöglicht eine ganz andere Art der Kommunikation mit den Nutzer*innen, mit den Auftraggebenden. Und es ist für uns eigentlich eine Traumaufgabe. Viel schönere Aufgaben können wir uns gar nicht vorstellen.

Katharina Rauh: Ja, das ist wirklich ein Beitrag zu jedem Menschenleben. Jede*r geht irgendwann in den Kindergarten, jede*r geht irgendwann in die Schule. Viele gehen zum Glück dann auch auf die Universität. Das ist doch großartig, da einen Beitrag zu leisten, der eben nichts damit zu tun hat, ob ich jetzt in einer Familie lebe, die in einem von einem Architekten gebauten Haus oder in einem Haus oder einer Wohnung von der Stange lebt, sondern einfach, weil ich Schüler*in bin komme ich in ein tolles Gebäude. Das ist einfach Wertschätzung dem Menschen gegenüber.

© Rahel Welsen | “Günderrodeschule” von prosa Architektur + Stadtplanung (Projektdetails)

Aktuell sprechen wir überall über die gestiegenen Baukosten und hohen Zinsen, was man insbesondere im Wohnungsbau merkt. Haben Sie das in dem Bereich Bildungsbau auch gespürt? Werden dort Projekte erst mal hinten angestellt? Oder ist das ein Thema, wo weiterhin geplant und gebaut wird?

Gero Quasten: Es wird schon weiterhin geplant und gebaut. Der Bedarf ist nach wie vor hoch und die öffentliche Hand kann es sich momentan auch nicht leisten zu sagen “wir bauen jetzt diese oder jene Schule nicht”, wenn der Bedarf für Schüler und Schülerinnen da ist. Bei Kindergärten und Kindertagesstätten ganz genauso. Also der Planungsbedarf ist nach wie vor hoch. Der Druck auf dem Markt beim Wohnungsbau, der ist ein ganz anderer als in den öffentlichen Projekten.

Katharina Rauh: Man muss sich das bei Schulprojekten vor Augen halten: irgendwann muss nach Schulentwicklungsplan eine Schule gebaut werden. Ab dieser Erkentnis dauert es mehrere Jahre, bis das durch die Gremien ist und bis die Gelder im Haushalt eingestellt sind und bis dann endlich ein Architekturbüro gefunden wird. Dann wird die Planung gemacht, dann kommt der Bauantrag und dann wird gebaut. Und wenn es gut läuft, sind das vielleicht nur sechs Jahre. Wenn man Pech hat, sind es 20 Jahre. Dann muss man das Projekt bzw. das Raumprogramm von vor 15 oder 20 Jahren bauen, weil eben dafür die Gelder freigegeben sind.

Dadurch ist es natürlich jetzt nichts, wo man sofort merkt, da wird schnell Geld verdient oder eben schnell Geld ausgegeben, sondern es sind, da es eben unser aller Steuergelder sind, einfach sehr langsame, wohldurchdachte Projekte. Die können natürlich jetzt nicht so schnell gestoppt werden. Und wenn man sich die Schulen heute anschaut, würde ich sagen, gibt es ja auch jede Menge Bedarf, weiter zu sanieren.

Schauen wir uns doch mal ein konkretes Projekt von prosa an, den Sport und Bildungscampus in Bürstadt. Dort kommt unter anderm das Thema Bauen mit Lehm ins Spiel. Vielleicht können Sie das Projekt kurz vorstellen und etwas zur Arbeit mit Stampflehm und dem Aspekt Nachhaltigkeit sagen.

Gero Quasten: Der Sport- und Bildungscampus in Bürstadt ist wirklich ein sehr spannendes Projekt für uns, weil da Nachhaltigkeit in sehr vielen Aspekten zusammenkommt oder eben im wörtlichen Sinne auch ein Zusammenspiel aus verschiedenen Aspekten ist. Wir haben hier die Möglichkeit, ein Projekt zu machen, was in eigentlich allen Teilbereichen ressourcenschonend angedacht ist. Das betrifft einerseits ganz klassisch, was wir heutzutage ja fast bei allen Projekten automatisch tun, die Betriebsenergie. Heißt, das Gebäude soll mit möglichst wenig und mit möglichst regenerativer Energie betrieben werden. Also eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, es wird mit Erd- oder mit Grundwasser-Wärme geheizt. Alles Dinge, die heutzutage ja eigentlich fast schon Standard sind. Da sind wir auf einem sehr guten Level.

Aber was uns dann noch besonders daran interessiert hat, auch die Energie zur Erstellung des Gebäudes zu reduzieren. Und dafür haben wir einen Materialmix gewählt, der möglichst viel Energie einspart. Also ist das einzige Bauteil bei dem Gebäude, das noch aus Stahlbeton ist, die Bodenplatte. Da kommen wir in dem Fall nicht drum herum – aber auch die ist aus Recyclingbeton hergestellt.

Stampflehm beim Bau als thermische Speichermasse einsetzen

Dann gibt es eine große Primärkonstruktion aus Holz, in dem Fall Brettsperrholz und eine Außenschalung aus Lärche. Als Ergänzung gibt es eben, was Sie schon erwähnt haben, den Stampflehm im Innern des Gebäudes. Und das sind alles Materialien, die sehr schonend sind, was den Energiebedarf angeht. Im Vergleich zu Beton, was einen sehr hohen CO2 Ausstoß in der Produktion hat, kann Holz sogar CO2 speichern.

Stampflehm wird nicht gebrannt, sondern im Endeffekt direkt aus der Erde gewonnen, also ein sehr ressourcenschonende Material. Und das setzen wir im Gebäude ein als thermische Speichermasse. Das kann den Energiehaushalt des Gebäudes regulieren und zwar ohne den Einsatz von Technik, sondern nur, indem es Wärme oder auch Kühle im Sommer einspeichern und wieder abgeben kann. Und damit reduzieren wir beim Bau den Energieeinsatz und wir reduzieren im Betrieb auch die Notwendigkeit, Wärme oder Kühle ins Gebäude einzubringen.

Für uns ein super spannendes Projekt und das Thema Lehmbau, eigentlich ein uraltes Thema im Bauen, aber in der aktuellen Architekturentwicklung ein sehr, sehr neues Thema und auch für viele ein noch unbekanntes Thema. Und wir mussten uns auch erst mal einarbeiten und herausfinden, was kann man überhaupt mit Stampflehm machen, was nicht?
Wir sind jetzt kurz vor Fertigstellung (Anm. d. Redaktion: Stand März 2023) und das wird ein ganz tolles Gebäude.

© Rahel Welsen | Sport- und Bildungscampus Bürstadt

Also das erste Projekt, bei dem Sie in dem Umfang mit Stampflehm gearbeitet haben?

Gero Quasten: Genau. Also für den Stampflehm ist das unser erstes Gebäude. Wir haben viel geforscht, das ist manchmal für ein Architekturbüro nicht so wirklich wirtschaftlich, sich in das alles erst mal einzuarbeiten. Aber ich glaube, da sind wir auf einem sehr guten Weg. Und es wird ganz bestimmt nicht das letzte unserer Projekte mit Lehm oder vergleichbaren Baustoffen sein.

Katharina Rauh: Und es gibt schon erste Fotos von der Architekturfotografin, das macht schon Spaß. Ich glaube, das hilft auch, den Menschen zu zeigen, dass es nicht nur eine komische Idee ist, die wir Architektinnen und Architekten haben, sondern es hat auch echte Qualitäten.

“Ein solcher Ort braucht einen Hochpunkt” – das hatten Sie in unserem ersten Gespräch zum Projekt in Bürstadt erwähnt. Einen Hochpunkt hat auch der Sport und Bildungscampus. Was war der Gedanke dahinter?

Katharina Rauh: Es gab am Anfang eine erste Skizze von einem anderen Architekturbüro und das war einfach nur eine flache Kiste. Weil dieser Sport- und Bildungscampus eben ein ganzer Campus ist und unser Gebäude nur ein kleiner Teil davon, haben wir immer gesagt, wir brauchen einen Hochpunkt.
Von da aus kann man dann die ganzen unterschiedlichen Sportgelände sehen. Da gibt es sehr viel: Fußball, Bogenschießen, Radfahren – es gibt ganz verschiedene Sportarten und Möglichkeiten auf diesem Campus. Das ist doch super, wenn man da eben auch auf ein Dach kann und dann sogar noch einen Ticken höher. Es ist natürlich für die Orientierung auf dem Gelände sehr hilfreich, dass ich weiß “Ah, da ist der Hochpunkt, da muss ich hin!”.

Gero Quasten: Das Gelände ist interessanterweise von ganz vielen Zugängen erreichbar. Es gibt also keinen “Haupteingang”, es soll auch ganz bewusst von allen Seiten offen sein. Und wie es bei einem Sportareal der Fall ist – Fußballplätze und andere Sportstätten sind ja immer eben.
Das heißt, es ist eine sehr weitläufige, aber eben mit wenig Höhenentwicklung strukturierte Fläche. Egal, von wo man auf dieses Areal kommt, man wird immer diesen kleinen Turm erkennen. Und das heißt, man weiß immer, wo man hin muss. Er steht mitten im Gelände. Dadurch gab es gar nicht die Notwendigkeit, baulich viel mehr zu machen, weil man eben von überall aus erkennt, wo das Bildungsgebäude ist.

© prosa Architektur + Stadtplanung |
© Rahel Welsen | Sport- und Bildungscampus Bürstadt

Auch hier schauen wir nochmal auf das große Ganze bzw. auf das Thema Städtebauförderung. Das Programm “Soziale Stadt in Bürstadt“, dort heißt es online inhaltlich: Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist erst in den letzten Jahren arbeitsmarktinduziert von außerhalb der Stadt in das Fördergebiet gezogen. Ein Drittel dieser Neuzugezogenen besitzt nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, viele stammen aus Ost- und Südeuropa. Wie kann Architektur in solchen Situationen und unter den Bedingungen dazu beitragen, dass man auch sozialen Zusammenhalt schafft?

Gero Quasten: In dem Fall alleine schon inhaltsbedingt. Wir haben hier ein Gebäude, vielmehr einen ganzen Campus, der allen Bürgerinnen und Bürgern offen steht. Das ist sozusagen die Grundidee dieses Areals. Es ist ein ganz spannendes Projekt, das schon vor vielen Jahren in Bürstadt initiiert wurde, als wir noch gar nicht mit dabei waren. Dieser Campus und auch das Bildungsgebäude im Campus steht allen zur Verfügung. Und es ist ein offenes Gebäude, von allen Seiten, von denen man kommt, hat es Eingänge und Zugänge. Es ist sehr transparent und es ist genau dafür entwickelt, dass sich verschiedenste Menschen dort über den Weg laufen.

Ich denke, das ist wirklich eine sehr seltene Chance, die wir haben, als Architektinnen und Architekten so ein Gebäude zu realisieren. Natürlich muss aber auch das Gebäude eine gewisse Ausstrahlung haben, um diese Offenheit zu suggerieren. Und da ist es nicht damit getan, einfach große Glasflächen rein zu machen und dann zu sagen “wir sind offen”, sondern es muss einladend wirken. Dieses Gebäude aus Holz hat eine gewisse Nahbarkeit. Man will da vielleicht auch mal die Hand dran legen, weil es ein angenehmes Material ist.

Das im Zusammenhang mit der Lage im Areal trägt ganz sicher dazu bei, dass sich hier viele Menschen über den Weg laufen, die Sport machen, die Sport zugucken. Jugendförderung findet dort statt, es findet auch Hausaufgabenbetreuung statt, also Nachmittagsbetreuung. Allein durch den Mix der Nutzer*innen und durch die verschiedenen Nutzungsarten wird da viel passieren. Und das ist für uns ein Glücksfall, dass wir so was machen dürfen. Ich bin wirklich von dem Konzept sehr überzeugt, dass das auch ein enormen Mehrwert für den ganzen Ort bieten wird.

Gute Architektur darf den Betrachter nicht einschüchtern

Katharina Rauh: Und gleichzeitig ist es eine Haltung, wie Architektur da steht. Und das machen eben Schulen und Kitas auch. Es ist wichtig, dass das Haus mit den Proportionen des Menschen zu tun hat. Und da ist es völlig egal, woher er, sie oder es kommt. Wenn wir uns als Mensch wahrgenommen fühlen, uns trauen, reinzugehen und nicht erschlagen sind von unfassbar faszinierenden Materialien, die toll sind, aber vielleicht auch ein bisschen einschüchternd. In dem Fall sind es Holzschindeln, da ist jede Schindel anders und zusammen sind sie alle das Gebäude. Das macht etwas mit den Menschen. Wie komme ich da rein? Was sind das für Türen? Was sind das für Schwellen? Wie barrierefrei ist das Gebäude? Es ist etwas, was eben robust ist, wo man auch das Gefühl hat, man darf auch einfach reinkommen.

Ich glaube, das ist ein ganz großes Thema, dass es wirklich egal ist, wo man herkommt – der Maßstab ist das, was uns Menschen ausmacht. Es gibt eben manche, die sind ein bisschen kleiner, wieder andere sind ein bisschen größer. Aber “Menschsein” und die menschlichen Maßstäbe, die sind wichtig.

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Dann lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft des Bauens bzw. die Zukunft der Architektur werfen. Wir reden ja häufig über neue Verfahren, besonders innovative Technologien. Digitalisierung, IT, künstliche Intelligenz. Es bewegt sich aktuell ja extrem viel. Mit Blick auf Materialwahl haben wir die Themen reiner Holzbau, Holz-Hybrid-Bau, modulares Bauen. Wir hatten das Bauen mit Lehm und Recycling Materialien oder eben Kreislaufwirtschaft schon angesprochen. DIE eine Lösung wird es ja nicht geben. Wie sehen Sie das? Welcher Baustoff oder welches Prinzip hat Zukunft?

Katharina Rauh: Also ich finde das Prinzip “so wenig bauen wie nötig” hat Zukunft. Wir müssen uns alle fragen “Brauchen wir immer mehr? Muss es immer größer, neuer, schöner sein?” Es gibt Momente, da diskutieren wir mit unseren Auftraggebenden, ob wir nicht Räume weglassen können, weil man doch manche doppelt nutzen kann. Und das schmälert unsere Aufgabe, aber es ist, glaube ich, die richtige Herangehensweise. Suffizienz ist das Thema. Das ist, glaube ich, das Allerwichtigste, was über allem steht. Also bei uns – über allen Projekten. “Wollen wir da wirklich bauen, wollen wir anders bauen und wie wenig geht?” Aber klar, es gibt natürlich auch das Thema Materialien, dazu kann mein Partner Gero etwas sagen.

Gero Quasten: Sie haben es schon gesagt, es gibt nicht die Patentlösung. Wir machen bei jedem Projekt immer wieder neue Erfahrungen und ich glaube, die Kombination macht es schlussendlich aus. Also die Kombination aus regenerativen Baustoffen – wir haben über Holz und Lehm gesprochen. Das sind beides Baustoffe, die tendenziell, wenn sie richtig verwendet werden, in sehr großen Mengen zur Verfügung stehen, weil sie eben nachwachsen oder praktisch überall verfügbar sind.

Aber man darf auch nicht blind sagen “Wir bauen nur noch alles aus Holz”. Wenn es nicht richtig nachhaltig bewirtschaftet wird, ist es auch eine Sackgasse. Insofern sind wir große Freunde von hybriden Strukturen. Jeder baut und leistet das, was er kann. Wir setzen uns jetzt immer mehr mit dem Thema “reversibles Bauen” auseinander. Das heißt, wie kann man auch Bauteile wieder vom Gebäude trennen und für die nächsten Bauwerke wiederverwenden? Wie können wir jetzt schon Werkstoffe von anderen Bauwerken verwenden? Das ist noch ein relativ neues Thema, auch gar nicht so einfach in der Umsetzung, was etwa standardisierte Bauprodukte angeht.

Aber man darf auch nicht blind sagen “Wir bauen nur noch alles aus Holz”. Wenn es nicht richtig nachhaltig bewirtschaftet wird, ist es auch eine Sackgasse.

Gero Quasten

Viel Potential für das Bauen mit Lehm, auch in Kombination mit anderen Werkstoffen wie Holz und Stahl

Das sind schon Prinzipien, mit denen wir uns sehr intensiv auseinandersetzen. Wenn Sie konkret fragen, für welche Baustoffe wir Zukunft sehen: Da sehe ich tatsächlich beim Lehm ein riesiges Potenzial, weil es momentan noch so winzig klein ist. Wenn man sich aber mit dem Baustoff beschäftigt, hat er so viele positive Eigenschaften, die wir momentan nur im Ansatz nutzen. Da, glaube ich, ist das größte Potenzial noch in der Breite, dass sich das in der Architekturszene oder auch im Bau noch stärker durchsetzt. Und in Kombination mit Holz und gegebenenfalls auch mal mit Stahl gibt es tolle Lösungen und Möglichkeiten, Gebäude effizient und wirklich nachhaltig auszubilden.

Katharina Rauh: Da ist es auch wichtig, dass Menschen ausgebildet werden, die das dann umsetzen können. Wir haben nach einer Firma gesucht, die das machen kann in Bürstadt – da waren quasi alle deutschen Lehmbauer in einem Projekt gebunden, weil es einfach überhaupt nicht so viele gibt. Und das ist natürlich verrückt. Ich bin in einem Fachwerkhaus aufgewachsen, da waren schon immer alle Wände aus Lehm und Holz, also ganz normal, es kann halt heute kaum noch jemand.

Bauen mit Lehm ist in Deutschland und Mitteleuropa weniger stark verbreitet

Gero Quasten: Genau wie bei uns – wenn man mal schaut: weltweit wohnen etwa ein Drittel der Menschen in Gebäuden aus Lehm, nur nicht unbedingt in Deutschland und Mitteleuropa, weil wir vor 200 Jahren aufgehört haben, da intensiv mitzubauen und entsprechend bei uns das Thema Normung ein bisschen hinterherhinkt. Da tut sich gerade ganz, ganz viel. Viele Normen im Bereich Lehmbau wurden gerade überarbeitet. Das ist ein Thema, da bleiben wir dran. Und da bin ich ziemlich sicher, dass da auch ganz viel passiert.

Ich bin ganz optimistisch, dass das immer bekannter wird und auch bei den Entscheider*innen, auf Seiten der Bauherrschaft, interessanter oder bekannter wird. Damit würden auch mehr Optionen für uns als Planer*innen bestehen. Wichtig ist, dass dann eben auch die Firmen existieren, die das dann auch umsetzen können.

Katharina Rauh: Es ist ja auch wichtig, dass wir alle daran arbeiten. Und wir müssen auch dahin, dass wir nicht alle Entscheidungen immer nur aus wirtschaftlichen Gründen fällen, sondern eben auch gucken, was sind da noch andere Themen. Da hat eben Lehm einen großen Vorteil, weil er eben nicht gebrannt wird. Er braucht wenig Energie und ist einfach ein gutes Material. Es ist wichtig, dass nach und nach die auch die öffentlichen Auftraggeber*innen langsam dahinter kommen.

Vor einigen Jahren wollten wir eine Schule bauen, ganz in Holz. Das war damals unvorstellbar. Jetzt bauen wir eine dreigeschossige Grundschule. Die Treppenhäuser beispielsweise sind aus Beton, aber nur noch die. Auch die Deckenplatten sind aus Holz. Da hat sich wirklich viel getan. Und wenn das so weitergeht, dass einfach immer mehr Menschen sagen “selbst wenn es jetzt in der Herstellung x Euro mehr kostet, das lohnt sich”. Ich bin da optimistisch. Manchmal. (lacht)

Gero Quasten: Wir hatten heute Morgen in unserer Besprechung auch das Thema “Keller” und haben festgestellt, dass wir bei nur rund 5 % unserer Projekte überhaupt irgendeinen Keller haben. Und wenn, dann meistens, weil die Projekte so im Hang liegen, dass man automatisch in die Erde rein baut, weil Keller meistens, zumindest für die Projekte, die wir machen, wenig Sinn ergeben. Man muss mit seinen Bauherrn reden und sagen “Was du nicht brauchst, solltest du besser sein lassen. Du sparst Geld, die Welt spart Ressourcen und da haben wir alle was davon”.

Ein schönes Schluss-Statement. Vielen Dank an Sie beide für das spannende Interview.

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