AskAnArchitekt Ep. 3
Lenny Valentino Schiaretti
Architekt
Atelier LVS
Als Architekt betreut Lenny Schiaretti Bauprojekte für Kunden aus Deutschland in Italien – er lebt und arbeitet zwischen München und der Toskana.
Im Interview spricht er über die Besonderheiten der beiden Welten und die Arbeit mit dem regionalen Handwerk.
Copyright Porträtfoto: Atelier LVS
Architektur zwischen Italien und Deutschland – 5 “Quick Questions”
Architekt Lenny Valentino Schiaretti beantwortet 5 “Quick Questions” zum Einstieg in unser Interview rund um Architektur, Bau und Italien.
Magst du kurz ein paar Worte zu deinem Werdegang erzählen? Wer bist du, was machst du, wo kommst du her und was verbindet dich mit der Toskana?
Ich wurde in der Toskana geboren, in einer Stadt in der Maremma, Grosseto. Meine Liebe zur Architektur begann, als ich ein Kind war. Mein Vater war auch Architekt und manchmal arbeitete er abends zu Hause und zeichnete ein paar Skizzen von einem Plan oder einer Perspektive. Damals verstand ich nicht wirklich, was diese Zeichnungen bedeuteten. Ich konnte kaum über den Tisch sehen, aber ich war fasziniert von dem Stift und dem Skizzenpapier. Ich wuchs heran und beobachtete weiter und habe viel gelernt. Dann habe ich in Florenz, der Wiege der Renaissance, Architektur studiert. In dieser wunderbaren Stadt voller Kunst und Architektur habe ich etwa 15 Jahre lang gelebt.
Dein Logo ist auch etwas ganz Besonderes – beschreib das doch mal kurz, was hast du dir dabei gedacht?
Es ist eine Skizze von einer sehr stilisierten Person. Ich erinnere mich, dass ich sie während eines Meetings auf einen Zettel gezeichnet habe. Es ist das Logo von Atelier LVS geworden, weil ich vermitteln möchte, dass die Menschen im Zentrum meiner Architektur stehen.
Das Logo wird in unterschiedlichen Varianten angepasst, z.B. an die Jahreszeiten; Copyright der Logos: Atelier LVS
Du planst und baust unter anderem in Italien in der Toskana. Was macht für dich persönlich „gute Architektur“ in Italien aus?
Die Frage ist sicherlich interessant, aber wenn möglich, würde ich sie gerne breiter formulieren und mehr darüber sprechen, was gute Architektur sein kann, also nicht nur in Italien. Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, dass ein Architekt den Ort, an dem er baut, seine Geschichte und die der dort lebenden Menschen versteht und die Gesamt-Harmonie erkennt. Wie ein Geheimnis, das es zu entdecken gilt. Das ist der Ausgangspunkt, der dann zur Architektur werden muss, die transformiert und in einem Objekt zusammenfasst, das auf gegenwärtige wie auch zukünftige Bedürfnisse ausgerichtet ist.
Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, dass ein Architekt den Ort, an dem er baut, seine Geschichte und die der dort lebenden Menschen versteht…
Wer sind denn deine typischen Kunden? Ist das eher jemand mit dem Wunsch nach dem Hauskauf für den Zweitwohnsitz in der Toskana oder sind es die „Auswanderer“?
Ich würde sagen, dass es beide Situationen gibt: Heute sind die meisten Menschen auf der Suche nach einem Ort, an dem sie von Zeit zu Zeit den Kontakt zur Natur wiederfinden können, mit einem Rhythmus, der weniger hektisch ist als der der Arbeit und der städtischen Routine. Sie wollen ein authentisches Leben mit schönen Aussichten, gutem Essen und Raum für Tage mit der Familie oder Freunden entdecken oder wiederfinden. Dank der größeren Flexibilität in vielen Berufen wächst heute jedoch auch der Wunsch, den Wohnort unabhängig vom Arbeitsort zu wählen. Sicherlich ist Italien dank der Schönheit seiner Städte, seiner Landschaft, seines guten Essens und seines mediterranen Klimas eine sehr beliebte Wahl.
„Sanieren oder Neubau?“ – Diese Frage hatten wir schon zum Einstieg. Wo siehst du da in der Toskana deine Schwerpunkte? Sind das Projekte wie Sanierung und Erhalt, z.B. von alten Weingütern oder eher Neubauprojekte, die dann im „Toskana-Stil“ gebaut werden?
Ich verfolge sowohl Renovierungs- als auch Neubauprojekte mit der gleichen Hingabe und Leidenschaft. Aber ich gebe zu, dass es mich immer wieder fasziniert, etwas Verlassenem neues Leben zu schenken. Etwas, das viele Geschichten zu erzählen hat und das dank des Interesses neuer Menschen wiedergeboren werden, neue Funktionen und eine neue Zukunft begrüßen kann.
Grundsätzlich versuche ich, mich nicht auf einen bestimmten Stil festzulegen (toskanisch, mediterran usw.). Denn ich glaube, es ist wichtig, dass jedes Gebäude die Persönlichkeit des Eigentümers zum Ausdruck bringt – in Harmonie mit den Funktionen, die es erfüllen soll, und dem Ort, an dem es steht.
Pool-Renovierung in Chianti in der Toskana
Projekt: Pool Renovierung in Chianti, Toskana; Copyrights der Bilder: Atelier LVS, Del Rio-Bani (Fotograf)
Die Arbeit im Süden klingt natürlich für den ein oder anderen sicherlich nach einem absoluten Traumjob. Gibt es Momente oder Dinge, wegen denen du auch mal so richtig genervt bist? Gerne erwähnt wird ja zum Beispiel die Bürokratie in Italien …
Ich muss zugeben, dass meine Arbeit mich manchmal an wunderschöne Orte führt, die es zu entdecken gilt und wo ich mit sehr interessanten Menschen in Kontakt komme. Es gibt aber auch viele Dinge, die anstrengend sind… Zum Beispiel sind vereinbarte Termine nur eine Referenz, die fast nie beachtet werden. Es ist gar nicht so einfach, Meetings zwischen Technikern, Handwerkern und Baufirmen zu organisieren. Meistens kommt jemand gar nicht oder sehr spät, und es ist auch sehr schwierig, wenn nicht fast unmöglich, einen Abgabetermin einzuhalten. Zum Glück ist das nicht immer der Fall und die Kunden finden es oft kurios und sehr italienisch. Manchmal ist es nicht leicht, ihnen den kulturellen Unterschied zwischen Italien und Deutschland zu erklären.
Wo liegen die größten Unterschiede mit Blick auf Architektur und Städtebau, oder auch Dorfentwicklung, wenn du Deutschland und Italien miteinander vergleichst?
Wir hatten ebenfalls zum Einstieg bereits die Frage „historisch oder modern“ angesprochen – dieser Mix aus beidem, gelingt das in der Toskana besser als in Deutschland?
Historisch oder modern. Sicherlich ist das Thema komplex und würde eine eingehende Analyse erfordern, aber vielleicht bringt die Beziehung zwischen diesen beiden Begriffen einige der wichtigsten Unterschiede zwischen Architektur und Städtebau in Italien und Deutschland auf den Punkt.
Die Beziehung zur Geschichte ist in Italien sehr kompliziert: wir sind von dem Versuch, unsere Vergangenheit zu respektieren, direkt dazu übergegangen, nicht einmal mehr kleinste Änderungen zu erlauben. Das gilt sowohl für bedeutende Architektur als auch für gewöhnliche Gebäude in städtischen und ländlichen Gebieten. Das halte ich für riskant, da wir Gefahr laufen, dass Städte und Dörfer sterben oder zu einer Art Open-Air-Museum werden, die nur für den Tourismus geeignet sind.
In Deutschland ist die Situation etwas anders. Viele städtische Gebiete werden abgerissen und neu gebaut, um neue Wohnbedürfnisse zu befriedigen oder den Lebensstandard zu verbessern. Das führt zur Wiedergeburt ganzer Stadtteile, die für Menschen oder Investoren wieder attraktiv werden. Ich habe diese Eigenschaft vieler deutscher Städte schon immer geschätzt: Das Leben ändert sich, die historischen Städte selbst, wie wir sie kennen, sind das Ergebnis ständiger Entwicklung und Veränderung.
Das Leben ändert sich, die historischen Städte selbst, wie wir sie kennen, sind das Ergebnis ständiger Entwicklung und Veränderung.
Ich habe kürzlich einige Vorschläge für das “Alte Neuland Frankfurt” (Link externe Quelle) gesehen, aber ich wünsche mir, dass wir nicht in diese Richtung gehen und es vermeiden, die Vergangenheit zu kopieren oder neu zu erschaffen. Stile aus der Vergangenheit in der heutigen Welt neu vorzuschlagen, bringt meiner Meinung nach keinen Vorteil. Wenn man ein kulturelles und architektonisches Moment aus seinem historischen Kontext herauslöst, verliert es an Bedeutung, weil die Gründe, die es damals geschaffen haben, nicht mehr vorhanden sind.
Vielleicht ist es besser, zu versuchen, die Vergangenheit zu respektieren und zu verstehen, um bessere Bedingungen für die Zukunft zu schaffen.
Baustelleneinblick: Ein Landhaus in Maremma in der Toskana
Projekt: Landhaus in Maremma, Toskana; Copyright der Fotos: Atelier LVS
Lass uns über den Aspekt der Nachhaltigkeit in der Architektur sprechen. Nachhaltigkeit beim Bau, dabei fallen meistens zuerst die „technischen“ Aspekte – Wärmepumpe, Materialwahl, Dämmung etc.. Für dich hat Nachhaltigkeit beim Bau aber auch eine andere, wichtige Seite – Stichwort „Local Sourcing in Italien“, aber eben nicht nur bei der Wahl der Materialien, sondern auch bei der Wahl der Handwerker.
Das Thema Nachhaltigkeit kann sicherlich aus vielen Perspektiven betrachtet werden. Heutzutage geht die Tendenz dahin, sich fast ausschließlich auf die Energieleistung eines Gebäudes zu konzentrieren, das heißt auf den Verbrauch und die Emissionen, die ein Gebäude erreicht, unabhängig davon, wie diese Ergebnisse zustande kommen.
Obwohl ich mir bewusst bin, wie wichtig es ist, den Verbrauch und die Emissionen eines Hauses zu reduzieren, konzentriere ich mich hauptsächlich auf einen etwas anderen Ansatz der Nachhaltigkeit, den ich für sozialer halte. Ich versuche, den Dialog mit dem Kunden zu suchen, um ihn für die Verwendung lokaler Materialien zu sensibilisieren, die den doppelten Vorteil haben, dass sie den Transport und damit die Emissionen und den Gesamtenergieverbrauch reduzieren und gleichzeitig den Genius Loci, den Geist eines Ortes, respektieren.
Außerdem bevorzuge ich immer lokale Unternehmen und Handwerker, um die lokale Wirtschaft und die Menschen, die dort arbeiten, zu unterstützen.
Anfertigung einer individuellen Steinplatte für einen Kamin mit regionalen Handwerkern in der Toskana
Projekt: Handgefertigte Steinplatte für einen Kamin, Toskana; Copyright der Fotos: Atelier LVS
Du hattest mir vor unserem Gespräch die Fahrt über die kurvigen Landstraßen der Toskana beschrieben, hin zu kleinen Dörfern und den dort ansässigen Handwerkern. Erzähl doch einfach mal aus deinem Alltag. Wie erlebst du das? Gibt es in Italien eine andere Wertschätzung des Handwerks?
Ja, genau, wie ich dir schon erzählt habe, gibt es auch eine schöne menschliche Seite an diesem Thema. Ich fahre oft auf kurvenreichen Straßen in den Bergen und mitten in der Natur, um Handwerkerinnen und Handwerker zu besuchen, die es schaffen, mit so viel Leidenschaft und Fachwissen wunderbare Dinge herzustellen. Es freut mich zu sehen, dass es sich dabei oft um kleine Familienbetriebe handelt, die mit viel Liebe arbeiten.
In Italien gab es einige ziemlich schwierige Jahre für Handwerker/-innen, aber ich denke, dass es jetzt ein neues Interesse gibt, das hoffentlich auch neue Generationen anzieht, die lernen und weitermachen wollen.
Hausrenovierung und Umbau in der Toskana – vor Baubeginn
Hausrenovierung und Umbau in der Toskana – Visualisierung “nachher”
Projekt: Ein weiteres Landhaus in Maremma, Toskana; Copyright Fotos + Visualisierung: Atelier LVS
Eine abschließende Frage noch: Was sind aus deiner „Architekten-Sicht“ und mit deinem Blickwinkel für eine Architekturreise in die Toskana Orte, Städte oder Sehenswertes, die das Architekten-Herz höher schlagen lassen und für Architekturliebhaber lohnenswert zu besuchen ist?
Es ist schwierig, Namen zu nennen. Ich würde sicher etwas Schönes oder Wichtiges vergessen! Deshalb schlage ich vor, die berühmtesten Orte und Städte auszulassen, die man sicher schon kennt, und auf den kleineren Straßen, den „berühmten“ kurvenreichen Straßen, die Region und ihre kleinen Dörfer zu erkunden und die Tour vielleicht mit einem abendlichen Bad in den natürlichen Thermen von Saturnia zu beenden (Link externe Quelle). Jetzt habe ich schlussendlich dann doch noch einen Namen genannt!