“Feel good places” im Quartier “Phyll” in Bad Vilbel – Interview mit Architekt Gerhard Wittfeld (kadawittfeldarchitektur)
Architekt Gerhard Wittfeld von kadawittfeldarchitektur im Interview zum Neubauprojekt “PHYLL” in Bad Vilbel, guter Architektur und “feel good places”.
Das Neubauprojekt “PHYLL” in Bad Vilbel soll dort entstehen, wo zuletzt das “Spring Park Valley” geplant war. Architekt Gerhard Wittfeld (kadawittfeldarchitektur) spricht im Interview über “gute Architektur”, “feel good places” und das neue Konzept in der Quellenstadt.
Gerhard Wittfeld
“Mein Name ist Gerhard Wittfeld. Ich bin 54 Jahre alt und habe das Büro vor 24 Jahren zusammen mit Klaus Kada, einem österreichischen Architekten aus Graz, gegründet. Ich kenne ihn, weil ich in seinem Büro in Graz als Stipendiat gearbeitet habe. Das war der Grundstein für unsere deutsch-österreichische Bürokonstellation. Wir haben mit einer Dependance in Aachen gestartet, weil wir dort auch eine enge Verbindung mit der RWTH Aachen hatten. Das Büro ist dann über Wettbewerbe und Wettbewerbserfolge immer weiter gewachsen. Heute leite ich das Büro zusammen mit Kilian Kada. Wir sind circa 180 Architekten, Designer, Städtebauer und Interior Designer und sitzen immer noch mit unserem Hauptsitz in Aachen, aber auch in Berlin, Köln und München. Wir beschäftigen uns mit komplexen Bauaufgaben, die hohe Anforderungen an Nachhaltigkeit haben, und mit Bauaufgaben, die sehr stark im städtischen Fokus liegen und somit gesellschaftlich relevant sind und viele betreffen.”
Copyright Porträtfoto: Carl Brunn
Visualisierung in diesem Beitrag: Loomilux | Entwurf: kadawittfeldarchitektur
Interview: Oliver Weber-Lapp
kadawittfeldarchitektur ist als Architekturbüro also viel im Bereich Stadtentwicklung tätig?
Genau, Stadtentwicklung – als Architekten beschäftigen wir uns mit Dingen, die nicht nur für die eigenen Nutzer eine Bedeutungsebene haben, sondern auch für die Menschen im Umfeld.
Wir bauen private oder öffentliche Bauten in größerem Maßstab, entwickeln Office Konzepte, bauen Hochschulgebäude oder Museen, wie die Grimmwelt in Kassel oder die Komische Oper in Berlin. Dabei hat jedes Haus eine Strahlkraft, die das Umfeld verändert.
Wenn Sie es kurz zusammenfassen müssten, was zeichnet für Sie ganz allgemein gute Architektur aus? Wie würden Sie das definieren?
Direkt die Frage der Fragen (lacht).
Auf jeden Fall glaube ich, dass Architektur positiv für Mensch und Umwelt sein sollte.
Ich sehe die Architektur in engem Verbund mit unserer Umwelt. Nicht als etwas Solitäres, Technoides, sondern als etwas Naturverbundenes, was “Respekt vor der gewachsenen Umwelt” hat, was die Zukunft mitdenkt. Und ich glaube, alle Gebäude sollten immer einen Mehrwert für ihr Umfeld haben. Nicht nur für die, die direkt im Haus sitzen. Klar, für deren Bedürfnisse, ist es primär konzipiert.
Ich glaube, alle Gebäude sollten immer einen Mehrwert für ihr Umfeld haben.
Es sollte aber auch einen Mehrwert bieten für all diejenigen, die draußen vorbeigehen. Gebäude können einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Dann entsteht gute Architektur. Gute Architektur ist auch nach 20 oder 30 Jahren immer noch ansprechend. Ein Gebäude sollte sein Baujahr nicht verleugnen, aber es sollte trotzdem mit Würde altern können. Gutes Design zum Beispiel ist auch ein Riesenerfolg für Nachhaltigkeit. Wenn eine Sache gut designt ist, dann nutzen die Leute sie auch gerne lange.
Sehr spannende Verbindung zwischen guter Architektur, langfristiger Nutzung und dem Aspekt Nachhaltigkeit.
Wir wollen heute über das Projekt “Phyll” in Bad Vilbel sprechen. Die DLE Group, ein Projektentwickler aus Berlin, beschreibt auf der Website das Ganze als die “Mischung aus urbanem und ländlichen Leben und Arbeiten”.
Die Planung entstammt der Feder Ihres Architekturbüros. Stellen Sie doch das städtebauliche Konzept kurz vor. Was genau soll hier entstehen?
Ich finde diesen Leitspruch “Mischung aus urbanem und ländlichem Leben und Arbeiten” super, weil er den Kern der Aufgabe trifft. Wie schaffe ich einerseits eine gute Infrastruktur und wie kann ich andererseits den Landschaftsraum mit ins Projekt reinziehen und dessen Qualitäten nutzbar machen? Die Idee, die unser Projekt auszeichnet, ist, einen Arbeitsort zu kreieren, an dem die Leute sich entspannen und konzentrieren können. Das ist ganz wichtig.
Und auch da spielt das Thema eine Rolle – wir haben eben über gute Architektur gesprochen – dass sich Gebäude und Landschaft verbinden.
Es gibt viel Grünraum, aber es sind trotzdem genügend Leute vor Ort, sodass eine urbane Dichte entsteht und Kommunikation stattfindet. Man wird überall im Quartier einen Bezug nach draußen erleben. Diese charakteristische Besonderheit wird zum wichtigen Alleinstellungsmerkmal. Gleichzeitig haben wir einen hohen Anspruch an möglichst CO2-neutrale Errichtung und Betrieb der Gebäude. Das heißt beispielsweise, dass ich nach Möglichkeit nicht unter die Erde baue, und dass wir viele nachwachsende Rohstoffe, zum Beispiel Holz, einsetzen werden. All diese Gedanken werden dieses Quartier stark prägen.
Ursprünglich sollte an der gleichen Stelle das “Spring Park Valley” gebaut werden. Die Pläne für dieses futuristische Quartier wurden dann aber zu den Akten gelegt. Woran ist aus Ihrer Sicht diese erste Planung gescheitert? Und was unterscheidet das neue Konzept von diesem ursprünglichen Ansatz? Wo sind vielleicht auch Gemeinsamkeiten?
Das damalige Projekt ist von Kollegen entwickelt worden. Man kann sicher sagen, das Konzept war “vor Corona” entworfen. Von der städtebaulichen Idee und der Architektur war das Projekt völlig in Ordnung. Aber es hatte einen großmaßstäblicheren Ansatz und bestand aus größeren Gebäuden, die miteinander verbunden sind. Das war vielleicht so eine Art “Konzernzentralen-Idee”. Mit einer sehr guten, ansprechenden Architektur, die ebenfalls von viel Grünraum umgeben war. Aber die Architektur war mehr auf sich selbst bezogen, das ist, glaube ich, der große Unterschied.
Wir haben nun viel kleinmaßstäblichere Gebäude. Viele sind nur rund 30 auf 30 Meter groß; fünf, sechs Geschosse hoch. Ganz wichtig ist, dass das Quartier nicht abgeschlossen ist, sondern sich zum Umfeld und Stadtraum öffnet, denn es ist ja auch Teil von Bad Vilbel.
Das Projekt kann in ganz vielen kleinen Schritten gebaut werden. Es ist “Open Door” und sagt ganz klar: “der öffentliche Raum im Quartier gehört allen, auch, wenn ich dort nicht arbeite”. Jetzt komme ich auf das Thema “Post Corona”.
Moderne Architektur, Grün und Kommunikation im Mittelpunkt
Es ist so konzipiert, dass sich dort ganz viele unterschiedliche Unternehmen ansiedeln und die Kommunikation im Mittelpunkt steht. Im Idealfall heißt es “Ich möchte mich im Phyll ansiedeln, weil das Projekt total schön im Grünen liegt, aber ich treffe dort auch andere”. Kleinteilig gegliederte Architektur, in einzelnen Schritten errichtbar und für ganz viele verschiedene Nutzer ansprechend. Das sind die wesentlichen Unterschiede.
Die Gemeinsamkeit ist, meiner Meinung nach, die moderne Architektur, die Verwendung des Themas Wasser, was bei Bad Vilbel auf der Hand liegt. Das gab es beim Beitrag der Kollegen und Kolleginnen auch, ebenso wie einen hohen Anteil an Durchgrünung. Die zentrale Frage ist nur: wem stehen die entstehenden Grünflächen zur Verfügung? Liegen sie quasi auf einem Privatgrundstück oder gehören sie allen? So könnte man den Unterschied vielleicht charakterisieren.
Jetzt hatten Sie direkt schon ein paar Vorteile von Bad Vilbel genannt. Was macht denn die Quellenstadt zum idealen Standort für ein solches Quartier?
Bad Vilbel eine gut in sich funktionierende Stadt und Gemeinde. Da ist nichts aus der Retorte, sondern eine Stadt mit Geschichte und einer wirklich intakten sozialen Struktur. Dort ist ein gutes Angebot an Wohnen nicht zu unterschätzen. Und Bad Vilbel über die Quellen eine starke, eigene Identität. Das ist ein wichtiger Unique Selling Point.
Es gibt eine große Nähe zur Metropolstadt Frankfurt. Die Infrastruktur ist sehr gut, sodass man innerhalb kürzester Zeit im Grünen oder der Mainmetropole ist, während man gleichzeitig in einer funktionierenden Gemeindestruktur situiert ist.
Rund um Frankfurt gibt es andere Standorte, die sehr stark ausschließlich Bürostandort-orientiert sind. Das fanden wir so spannend, als wir die Anfrage bekommen haben, denn wir gucken uns immer ziemlich genau an, wo ein Projekt liegt und was die Ziele des Vorhabens sind. Wir haben sofort erkannt, dass es beim Phyll interessant ist, diese intakte Gemeinde und deren Maßstab zu integrieren. Dieses Projekt ist gut für Bad Vilbel, gleichzeitig ist der Lagevorteil auch gut für die eigentliche Entwicklung – eine “win-win Situation”.
Offenheit der Bad Vilbeler Stadtverwaltung – “Phyll” als Chance für die Region
Außerdem war sehr interessant, dass die Gemeinde und ihre Vertreter sehr offen sind. Als wir dort hinkamen mit einem komplett neuen Projekt in der Tasche, hätten wir auch zu hören bekommen können: “Was soll denn das? Jetzt sind jahrelang mit viel Aufwand in Gemeindeverwaltung und Politik Dinge besprochen worden, und jetzt gibt es auf einmal andere Ideen”. Stattdessen gab es diese große Offenheit zu sagen “Ja, es stimmt, Corona hat einfach Dinge geändert und wir begreifen das als eine Chance für die Gemeinde”.
Wir haben schon nach einem halben Jahr das erste Meeting gehabt, bei dem alle Parteien vertreten waren. Es war bemerkenswert, dass die Gemeindevertreter, und das spricht für die eben genannte “intakte Gemeinde”, auch aktiv an dem Diskurs zu dem Thema teilnehmen wollten. Die sagen nicht einfach “Okay, liefert das mal und dann äußern wir uns dazu”, sondern die sagen “Ihr habe eine Idee. Und dazu haben wir diese zehn, fünfzehn Fragen, etwa zu Mobilität, Entsiegelung etc.”. Diesen kritischen Dialog, der von Anfang an geführt worden ist, fanden wir gut, denn er hat uns in die Lage versetzt, das Projekt noch besser zu planen.
Letzten Endes wird das ja auch die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern.
Man hat ja bei Neubauprojekten dieser Größe immer sehr viel Kritik.
Aber natürlich.
Es gibt verschiedene Zugänge, wie man an so große Entwicklungen rangeht. Es gibt Entwickler, die sagen “Die Pläne halten wir erst mal schön unter dem Teppich, machen alles fertig und juristisch wasserdicht, und dann boxen wir es irgendwie durch”.
Ich halte das für den total falschen Weg. Genau das formulieren wir direkt am Anfang, wenn wir solche Anfragen kriegen. Wir wissen, dass der Prozess anstrengend ist, aber wir müssen ganz früh die Player vor Ort mitnehmen. Wie Sie richtig sagen, ist am Ende die Akzeptanz höher, aber die lokalen Akteure haben eine wichtige Expertise, da sie die ganzen Randbedingungen viel besser kennen.
Uns gibt das die Möglichkeit, die Erkenntnisse aus diesem Prozess einzuarbeiten. Diese sind dann kein Begleitwerk, sondern ganz vorne mit dabei. Das war auch hier bei “Phyll” sehr positiv.
Wenn so ein Projekt, wie Sie erwähnen, positiv im Umfeld aufgenommen wird, hat das bei Standortentscheidungen von Unternehmen, ob sie sich irgendwo ansiedeln oder nicht, eine ganz große Relevanz. Es geht um Zahlen, klar, es geht aber immer auch Soft Facts.
Nachhaltigkeit ist natürlich auch bei “Phyll” ein Thema, Sie hatten es schon kurz angedeutet. Welche Themen kommen dabei konkret ins Spiel? Zum Beispiel mit Blick auf Materialwahl. Ist auch der Einsatz von Recycling-Material und die Kreislaufwirtschaft, “Cradle to Cradle”, ein Thema?
Gut, dass Sie das ansprechen. Unser Büro hat in Deutschland das erste “Cradle to Cradle” inspirierte Gebäude überhaupt gebaut, und zwar für die RAG-Stiftung in Essen (Link zum Projekt). Das Projekt ist 2018 fertiggestellt worden und hat uns in der Überzeugung bestärkt, dass wir uns bei all unseren Projekten bemühen, der Umwelt möglichst wenig Ressourcen zu entziehen und den CO2-Fußabdruck möglichst gering zu halten. Wir nutzen nachwachsende Rohstoffe wie Holz, und setzten zum Beispiel Holzkonstruktionen oder Holz-Hybrid-Konstruktionen ein, also eine Mischung aus Holz und ganz dünnen Betonplatten.
Das ist im Projekt verankert, und auch das Thema Urban Mining spielt eine Rolle. Sprich, kann ich Baustoffe, die am Markt sind, als Sekundär-Baustoffe einsetzen? Das ist ganz klar erklärter Wille. Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen wie Concular (Link zur Website), die Material-Börsen haben, bei denen man schauen kann, in welchem Umkreis welche wiederverwendbaren Bauteile und Produkte verfügbar sind.
Ich nenne Ihnen als ganz einfaches Beispiel mal Brandschutz-Türen. Das sind teure Produkte, die aber, weil sie jährlich in Gebäuden vom TÜV gewartet werden, absolut tadellos funktionieren und problemlos wiederverwendet werden können. Und wenn wir davon 50 Stück für den Bauherren erwerben können, weil sie innerhalb eines gewissen Umkreises verfügbar sind, der eine geringe Anfahrtszeit und einen geringeren CO2-Ausstoß beim Transport bedeutet, dann machen wir das! Die Nachhaltigkeitsgedanken gehen weiter über Baustellen-Management, also Noise Reduction, wenig Lärm, Zero Waste Policy auf der Baustelle. All das soll bei diesem Projekt umgesetzt werden.
Das klingt auf jeden Fall vielversprechend. Was auch mit der Nachhaltigkeit zusammenhängt ist das Thema Mobilität. Wird es innerhalb dieses Neubau-Quartiers “Phyll” Besonderheiten geben in Richtung Car-Sharing, Lademöglichkeiten, Lade-Parks? Ist da etwas vorgesehen?
Interessant an dem Grundstück ist, dass es rund 200 Meter vom Bahnhof entfernt ist. Das ist ein großer Vorteil, denn das wird eine Eintrittskarte dafür sein, dass ganz viele Leute mit der Bahn fahren und das Mobilitäts-Angebot nutzen. Ein anderer Benefit ist, dass eine überregionale Fahrradroute direkt angrenzend verläuft. Eine weitere Besonderheit ist, dass wir nur ein Drittel der notwendigen Autoparkplätze den Gebäuden direkt zuordnen und zwei Drittel in einem sogenannten “Mobility Hub” organisiert werden.
Es wird ein großes Bauwerk geben, in dem geparkt werden kann. Durch das breite vorhandene Mobilitätsangebot wird man dort mit weniger Stellplätzen auskommen. Es gibt Nutzungen, die benötigen tagsüber einen Parkplatz, andere abends, also Wohnen und Arbeiten zum Beispiel. Dadurch kann man den Stellplatzschüssel optimieren. Das Parkhaus wird vorgerüstet sein für E-Mobilität und die komplette entsprechende Ladeinfrastruktur vorhalten. Aktuell ist dort schon ein 10-prozentiger Anteil an Car-Sharing hinterlegt mit dem Potenzial, dass das im Laufe der Zeit wachsen kann.
Wachsendes Potential für Sharing-Mobilitäts-Lösungen
Ich gebe Ihnen das Beispiel eines unserer anderen Projekte: Wir planen ein Projekt in NRW, das ein bisschen dichter vernetzt ist. Dort haben wir teilweise sogar einen Sharing-Anteil von 25 bis 30 Prozent. Dadurch muss weniger Raum mit Parkplätzen belegt werden, und die Leute haben trotzdem Autos zur Verfügung. Es macht keinen Sinn, einen so hohen Anteil einfach zu implementieren, sondern man muss untersuchen, wie das Potenzial am Standort ist, ebenso wie die Bereitschaft im lokalen Umfeld.
Der Sharing-Anteil liegt hier aktuell ungefähr bei 10 Prozent. Damit fängt man an und wenn das Prinzip erstmal etabliert ist, das ist unsere Erfahrung, merken die Leute “es ist immer ein Auto da, das ist auch gereinigt und es ist sogar ein umweltfreundliches Elektroauto”. Und nächstes Mal sagen sie “Okay, das nutze ich jetzt”. Die Akzeptanz steigt stetig. Ich kann morgens mit der S-Bahn von zu Hause kommen. Und wenn ich mittags doch irgendwo hin muss, zum Baumarkt zum Beispiel, dann nehme ich mir dafür ein Sharing-Fahrzeug. Aber ich stelle mich nicht mit meinem Auto morgens in den Stau, um vor Ort womöglich keinen Parkplatz zu finden, und so weiter. So wächst das alles.
Würden Sie sagen, dass es leichter ist, dieses Thema – weniger Mobilität in einem Quartier – bei einem komplett neu geplanten Quartier von vornherein zu berücksichtigen als im Bestandsquartier zu verändern?
Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, es ist wichtig, und das ist einfacher bei einem Neubau, die Infrastruktur direkt zu implementieren. In unseren Städten scheitert es oft daran, dass zu viele Verbote ausgesprochen werden. Du darfst nicht mehr mit deinem Auto hierher und dorthin hinfahren. Ich habe aber noch kein alternatives Infrastruktur Angebot, was vorher errichtet wurde. Und damit sind wir schon beim Vorteil von Phyll. Wir planen zusammen mit der DLE beim Neubau direkt die erforderliche Infrastruktur, die diese Möglichkeiten bietet.
Eine Veränderung muss natürlich auch im Kopf der Menschen passieren. Meine Tochter hat in Kopenhagen gelebt und gearbeitet, wo fast alle mit dem Fahrrad und mit der S-Bahn fahren. Alle lieben Kopenhagen, aber was viele gerne ausblenden: die haben diesen Prozess der fahrradfreundlichen Stadt schon 1973 angestupst und die Stadt in einem Prozess über 50 Jahre lang immer weiter Richtung emissionsfreier Mobilität entwickelt. Ich bin überzeugt, dass das immer nur durch Erfahrung, also durch positive Erfahrung, weitergeschrieben wird. Bei Neubau-Projekten kann man den erforderlichen Platz im Straßenbau von Beginn an berücksichtigen. Beim Phyll entstehen allein 4.000 Fahrradabstellplätze. Und ich rede nicht von Fahrradabstellplätzen, wo ich mein Fahrrad irgendwo draußen hinstelle, sondern ich rede von richtig guten Abstellmöglichkeiten, anmietbaren kleine Fahrradgaragen, in denen man Fahrräder gesichert und überdacht abstellen kann.
Größere Akzeptanz alternativer Mobilitäts-Konzepte bei positiven eigenen Erfahrungen sind sinnvoller als Verbote
Wenn Sie heute ein eBike haben, das schnell 3.000€ oder auch 4.000€ kostet, dann überlegen Sie sich dreimal, ob sie damit zur Arbeit fahren, wenn es kein Angebot gibt, um das Rad sicher abzustellen. Genau das können wir gut hinbekommen. Man muss das entsprechende Stellplatzangebot erstmal implementieren und bei steigender Nachfrageweiter erhöhen, denn die Leute werden merken, dass es gut funktioniert.
Es gibt manchmal so eine Anfangsskepsis. Dann lernt man andere kennen, wenn man mittags zusammensitzt, was isst und sich austauscht: “Wie machst du das denn mit Deinem eBike? – Ah, cool”, denkst du dir. “Dann probiere ich das auch mal aus”. Bei der nächsten Entscheidung überlegst du schon “Das Auto brauche ich eigentlich gar nicht mehr oder maximal noch eines”. Und über diese Optionen, über das Angebot, eigene Erfahrungen zu machen, funktioniert ein Wandel viel besser, als wenn man Mobilitätsszenarien vorschreibt, „du darfst dieses und jenes nicht mehr“, „das ist verboten“, „da darfst du nicht hinfahren“. Mit Verboten kommt weniger weit. Man muss Angebote schaffen.
Dieses Thema über Verbote anzugehen führt wahrscheinlich bei dem einen oder anderen direkt zu einer ablehnenden Haltung.
Ja, genau. Bei uns in Aachen zum Beispiel hat es einen Radentscheid gegeben, der von der Politik beschlossen wurde. Das ganze Radwegenetz muss ausgebaut werden in einer mittelalterlichen Stadt mit extrem engen Straßenräumen. Plötzlich entsteht so eine Art Verteilungskampf um den Straßenraum. Und das hätte man anders moderieren müssen, um Akzeptanz auf allen Seiten zu schaffen. Denn jeder ist ja mal Fußgänger, Fahrradfahrer und Autofahrer. Deswegen ist das ist ein guter Weg, der in Bad Vilbel gegangen wird.
Sie haben schon einiges über Vorteile erzählt und Lust auf das Quartier “Phyll” gemacht. Wie sieht denn die aktuelle Zeitplanung aus? Wann wird da konkret was passieren?
Den Bebauungsplan oder vielmehr die Änderung des Bebauungsplans, haben wir mit der Gemeinde auf den Weg gebracht. Ich war noch vor zwei Monaten, im Mai 2023, in einer Ratssitzung, bei der das noch mal zur Kenntnis gebracht worden ist. Das Verfahren läuft. Sobald der B-Plan rechtskräftig ist, können wir Bauanträge einreichen. Wir sind aktuell dabei, für die ersten Baufelder, die direkt an der Ostseite des Areals liegen und an den Park grenzen, Bauvoranfragen zu erstellen.
Über die Bauvoranfrage bekommen potenzielle Käufer die Sicherheit, dass das Haus in der Größe und mit der Fläche genehmigt wird. Da diese Grundstücke veräußert werden, geht es dann eigentlich noch darum, wann die ersten Käufer gefunden sind. Von der Systematik unseres Planungsfortschritts aus betrachtet, könnte bereits ab 2025 gebaut werden. Für so ein Riesenprojekt also relativ zeitnah. Man muss aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage abwarten, was kommt. Aber das ist der große Vorteil unseres Konzeptes: Wir können auch zunächst mit einem Haus oder zwei Häusern anfangen. Das funktioniert auch in Schritten gut.
Das Vorgehen hatten Sie ja zu Beginn bereits anschaulich beschrieben, dass man eben Schritt für Schritt das Ganze wachsen lässt und nicht auf einen Schlag eine riesige Baustelle dort hin baut.
Genau. Das Projekt hat 220.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Da ist es nicht schlau, alles in einem Schritt zu bauen.
Dabei geht es um eine Verträglichkeit für die Stadt, die angrenzt. Die muss diese Veränderung verkraften können. Eine stetige Umsetzung ist viel näher an ihrem Umfeld, und dieser nachhaltigen Entwicklung kommen die einzelnen Realisierungsschritten auch entgegen.
Dann zum Abschluss noch eine letzte Frage:
Welche Dinge muss aus ihrer Perspektive ein Quartier bieten, damit es zu einem „feel good place“ für die Bewohner, Besucher, aber auch für die Leute, die dort arbeiten, wird?
Ich glaube, es braucht dieses niederschwellige Angebot, dass man über den privaten Raum hinaus die Dinge nutzen und sich aneignen darf. Ich bin zum Beispiel ein totaler Freiraum-Fan. Da sind Häuser, die funktional, schön und modern sind, die darüber hinaus aber auch in einem gut nutzbaren Landschaftsraum liegen. Das ist, glaube ich, das Wichtigste:
Es entstehen Orte, an denen ich andere Leute treffe, an denen Kommunikation passiert. Da wird es dann auch ein Bäcker geben, ein Café – Angebote, die Begegnung ermöglichen.
Ein anderer Benefit ist der Einsatz gesunder Materialien. „Feel good“ ist ein wirklich guter Begriff, denn den kann man auch übertragen auf die verwendeten Materialien, ob das nun das Holz ist oder Lehmwände. Dadurch bekommt das Vorhaben einen komplett anderen Duktus, denn Materialgesundheit ist ein Aspekt, der Wertschätzung und Sorgfalt ausdrücken kann, und Mitarbeitenden vermittelt “Wenn meine Firma da hingeht, dann kümmert sie sich um mich”. Das ist in meinen Augen, auch “feel good”.
Und ich glaube an das Thema der kurzen Wege. Wenn ich im Phyll bin, dann bin ich nicht in meinem Büro Tower festgetackert, sondern kann mittags mal runter, hole mir was zu essen oder setze mich auf die Bank unterm Baum. Oder nutze das zuvor genannte Car-Sharing-Angebot und leihe mal ein Auto, weil ich kurz meine Tochter abholen muss. Das alles kann man ganz niederschwellig gestalten.
Diese vier Aspekte, ‚kurze Wege‘, ‚gesunde Materialien‘, ‚kommunikative Angebote‘ und ‚Vernetzung von Freiraum und Architektur‘ lassen meiner Meinung nach so etwas wie ein “feel good place” enstehen. Ein letzter wichtiger Punkt ist, dass das Quartier nicht abgeschlossen sein darf. Es muss verbunden sein mit seinem Umfeld, einladend für Besucher sein, eine Durchmischung zulassen. Das sind für mich die fünf Parameter für einen “feel good place”.